Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #7 – 2020, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Juni 2020
Eine Näherung an eine umfassende Aufgabe
Das Klima verändert sich. Der Treibhauseffekt lässt die durchschnittlichen Temperaturen steigen und es ist in Zukunft von immer mehr Dürreperioden auszugehen. In Berlin werden zunehmend Starkregenfälle erwartet, die die Kanalisation überlasten. Auch für die Stadtentwicklung sind Klimaschutz und Klimaanpassung strategische Planungsziele, um die Situation zumindest abzumildern.
Dichte Blockrandbebauung heizt sich im Sommer auf und erschwert die Durchlüftung der Stadt (© Susanne Tessa Müller)
Gleichzeitig ist der Zuzug in die Stadt gerade im Innenstadtbereich und damit auch in Neukölln ungebrochen. Der Druck auf die bestehenden Flächen wächst. Neuer Wohnungsbau bräuchte eigentlich mehr Flächen. Neue Bewohnerinnen und Bewohner benötigen auch mehr gebaute Infrastruktur. Gerade im dicht bebauten Norden Neuköllns wären zusätzliche Freiflächen dringend gewünscht, doch der Platz fehlt.
Aufgabe in Sanierungsgebieten ist es, Missstände zu erkennen und mit Zielen und Maßnahmen entgegenzuwirken. Die Klimaproblematik ist dabei in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus gerückt. Die Sanierungsziele für das Neuköllner Sanierungsgebiet haben – wie bisher fast alle Sanierungsgebiete deutschlandweit – Aspekte des Klimaschutzes noch nicht direkt verankert. Sie wurden in den Vorbereitenden Untersuchungen 2011 als allgemeine Zielstellungen formuliert, jedoch ohne ein entsprechendes integriertes und fachlich qualifiziertes Umsetzungs- und Maßnahmenkonzept.
Internationale und nationale Strategien
Wie fließen Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsstrategien in die Planung vor Ort ein? Auf Grundlage internationaler und nationaler Agenden, Gesetze und Richtlinien ist auch die lokale Politik und Verwaltung dabei, Strukturen zur Zusammenarbeit aufzubauen und konkrete Maßnahmen für Städte und Quartiere zu entwickeln sowie rechtliche Rahmenbedingungen auszuloten. Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung bewegen sich dabei in einem System, in dem verschiedene lokale, regionale und länderübergreifende Planungsträger aufeinandertreffen. Diese haben oft unterschiedliche Ziele und Interessen und entwickeln daraus jeweils eigene räumliche Vorgaben. Dabei können Zielkonflikte entstehen, die oft nicht oder nur schwer miteinander zu vereinbaren sind. Die Frage, wie die Stadt- und Regionalplanung ökologische und Klimaschutzbelange berücksichtigen soll, beantwortet die „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“, auf die sich die europäischen Staaten 2007 verständigt haben. Wichtige Grundsätze sind die Förderung ressourcensparender und kompakter Siedlungsstrukturen sowie die nachhaltige Modernisierung bzw. bedarfsgerechte Anpassung der städtischen Versorgungssysteme und Verkehrsinfrastruktur. Teil der Strategie ist auch die Aufwertung der öffentlichen Räume und Anlagen sowie der öffentlichen und privaten Gebäude in der Stadt.
Berlins Klimaschutzziele und Strategien zur Klimaanpassung
Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Umweltschädliche Emissionen sollen demnach um mindestens 85 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 gesenkt werden. Der dazugehörige Fahrplan ist das 2018 beschlossene „Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030“.
Für die Anpassung der Stadt an den Klimawandel hat Berlin darüber hinaus zwei Kernaufgaben formuliert: die städtebauliche Anpassung an urbane Hitze und Maßnahmen zur Reduzierung urbaner Überflutungen (vgl. StEP Klima KONKRET, 2016). Demnach muss eine an die steigende Hitze angepasste Stadt unter anderem die Durchlüftung und Verschattung des Stadtraums fördern und die Kühlung der Luft durch mehr Verdunstung erreichen. Eine gründerzeitliche Blockrandbebauung wie im Sanierungsgebiet ist eher hinderlich für die Durchlüftung. Aufgrund der hohen Baumasse und des geringen Grünanteils sind die Blöcke stark bioklimatisch belastet, ihre Höfe bilden zum Teil Hitzeinseln.
Die zweite Herausforderung betrifft Wetterextreme wie Starkregen. Hier besteht die Gefahr, dass die in den Innenstadtbezirken befindliche Mischwasserkanalisation überflutet. Schmutz- und Regenwasser fließen dabei gemeinsam in die Kanalisation. Bei Überflutungen des Kanalsystems gelangt verschmutztes Wasser in die Oberflächengewässer wie den Neuköllner Schifffahrtskanal und führt im schlimmsten Fall zu massenhaftem Fischsterben. In Berlin wird deshalb seit einiger Zeit mit einem umfassenden Sanierungsprogramm das Kanalsystem aus- und umgebaut. Weitreichendes Ziel ist es, Niederschlagswasser gar nicht erst in die Kanalisation gelangen zu lassen, sondern dezentral, das heißt vor Ort, zu versickern.
Modelle der dezentralen Entwässerung: die Versickerungsmulde (umgesetzt am Weigandufer) und die Kastenrigole (geplante Umsetzung am Karl-Marx-Platz)
Lokale Planungsinstrumente
Lokale Regelwerke, mit denen unter anderem auch Ziele des Naturschutzes umgesetzt werden können, sind Bebauungspläne. Diese werden in den Bezirken aufgestellt und als Rechtsverordnung festgesetzt. Darin können beispielsweise naturhaushaltswirksame Flächen, also etwa Vegetationsflächen, grundstücksbezogen festgelegt werden. Im dicht bebauten Nord-Neukölln sind aber vor allem die bezirklichen Leitlinien für die Beurteilung von Bauvorhaben der Nachverdichtung (Dachgeschossausbau, Lückenschließung, Aufstockung) wichtig. Diese werden angewendet, wenn Vorhaben das planungsrechtlich erlaubte Maß überschreiten. Bei diesen muss ein sogenannter Biotopflächenfaktor (BFF) erreicht werden. Dies trifft auf die meisten Bauvorhaben zu. Der BFF legt fest, welcher Mindestanteil der Flächen auf dem Baugrundstück für den Naturhaushalt wirksam sein muss. Das können bepflanzte Flächen, Flächen für Versickerung und Verdunstung, aber auch Fassaden- und Dachbegrünungen sein.
Pflege der Bäume und Pflanzen
Stadtbäume und -sträucher spielen eine wichtige Rolle, um das Klima in der Stadt zu verbessern. Sie spenden Schatten, verdunsten Wasser und kühlen ihr Umfeld. Doch sie haben es schwer – nicht nur durch Dürre und Hitze. Die meist hochverdichteten Tragschichten der Straßen lassen oft nicht mehr als einen Meter Tiefe für die Wurzeln zu. Das städtische Leben und der Verkehr führen zudem zu einer starken Verdichtung des Erdreichs. Hunde-Urin und Müll führen zu weiteren Schäden. Viele Straßenbäume mussten in den vergangenen Jahren gefällt werden. Aufgrund knapper Finanzmittel konnte ein Teil davon noch nicht nachgepflanzt werden. Die „Aufzucht“ eines neuen Baums kostet Pflege, für die in den Grünflächenämtern nicht genug Geld und Personal zur Verfügung steht. Gleiches gilt leider zunehmend auch für die Pflege der innerstädtischen Grünflächen.
Baumneupflanzungen an der Innstraße (© Bergsee, blau)
Städtebauförderung und Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Mittel der Städtebauförderung für die Bundesländer bereitstellt, hat zu Beginn des Jahres die Förderziele neu gefasst: Maßnahmen zum Klimaschutz bzw. zur Anpassung an den Klimawandel werden nun als Querschnittsziele in allen Förderprogrammen berücksichtigt. Für das Sanierungsgebiet gibt es kein eigenes Maßnahmenkonzept für den Klimaschutz. Der Grund: mit der städtebaulichen Sanierung und den besonderen Genehmigungsvorbehalten sollen vor allem gravierende Missstände und Mängel beseitigt werden, die so nur in diesem Gebiet bestehen. Klimaschutzmaßnahmen sind aber nicht nur im Sanierungsgebiet, also lokal begrenzt, sondern in der gesamten Innenstadt notwendig, um wirken zu können. Es ist noch zu untersuchen, ob künftig Anpassungen der Sanierungsziele im Sinne des Klimaschutzes möglich sind.
Dennoch sind natürlich auch bei den Maßnahmen im Sanierungsgebiet Klimaschutzaspekte zu beachten und die Klimaschutzstrategien zu fördern. Insbesondere umweltfreundliche Mobilitätslösungen werden gefördert. Am besten sichtbar wird das im durchgängig fahrradfreundlichen Umbau der Straßen. Zudem werden die Grün- und Wegeflächen entlang des Neuköllner Schifffahrtskanals qualifiziert. Ziel ist es, diese wichtige Infrastruktur für die Bedürfnisse der gewachsenen Bevölkerung auch funktional zu verbessern. Allerdings wurde hier in den vergangenen Monaten auch ein Dilemma deutlich: für den Umbau des Weigandufers mussten die geltenden Berliner Regenwasserbestimmungen, besonders die des Regelwerks „Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin“, umgesetzt werden, da neue befestigte Gehwege am Kanalufer angelegt wurden. Es war unter anderem nötig, bestehende Vegetation zu roden, um Versickerungsflächen schaffen zu können. Dies hat bekanntlich zur Entstehung der Proteste in Teilen der Bevölkerung beigetragen.
Auch Straßenumbaumaßnahmen – und das ist ein großer Teil der Sanierungsmaßnahmen – müssen auf die geltenden Entwässerungsbestimmungen Rücksicht nehmen. So verfolgen die Planungen für den Karl-Marx-Platz mit einem neuen Entwässerungssystem das Ziel der dezentralen Entwässerung. Sanierungsziel ist es zudem von Beginn an, möglichst viele Hofflächen in Blockinnenbereichen zu entsiegeln und zu begrünen. Hier ist man allerdings stark auf die Mitwirkung der Eigentümerinnen und Eigentümer angewiesen. Anders verhält sich dies bei Nachverdichtungen. Hier stellt die Einhaltung der Biotopflächenfaktoren (s. o.) ebenso ein sanierungsrechtliches Genehmigungskriterium dar wie die Verbesserung der Wohnbedingungen auf dem Grundstück. Das bezieht sich z. B. auf grüne Hofgestaltungen, benutzerfreundliche Fahrradabstellplätze und die Beseitigung von Autostellplätzen in Höfen. Nachverdichtung mit Wohnbebauung soll vor allem über Dachgeschossausbauten erfolgen, denn freies Bauland gibt es kaum. Grundsätzlich gilt: wenn im Sanierungsgebiet auf der bestehenden Fläche insgesamt mehr Menschen wohnen, wird die Qualifizierung des öffentlichen Raums immer wichtiger – nicht nur in Bezug auf eine Anpassung an den Klimawandel, sondern auch um die Verkehrs-, Freizeit- und Erholungsbedürfnisse der Menschen zu erfüllen.
Imkern im Permakulturgarten des Café Botanico in der Richardstraße (© Bergsee, blau)
Zusammenarbeit
Betrachtet man die vielfältigen Herausforderungen, die die Stadt im Klimawandel vorausschauend zu bewältigen und zu beplanen hat – dieser Artikel kann dabei nur ein Schlaglicht bleiben – wird deutlich, wie wichtig es ist, den Klimaschutz als Querschnittsaufgabe der Politik und Verwaltung zu verankern. Umweltpolitik verfolgt die Prinzipien der Nachhaltigkeit, um die überbordende Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen zu begrenzen. Stadtplanung ist aber darüber hinaus Interessenausgleich, der im Baugesetzbuch in der notwendigen „planerischen Abwägung“ verankert ist. Darin stehen ökologische Aspekte neben ökonomischen, kulturellen und sozialen Belangen als gleichrangige Ziele – wenn auch mancher im Klimaschutz eine nicht verhandelbare Voraussetzung für alle wichtigen (Planungs-) Entscheidungen sieht.
Es zeigt sich: eine integrierte, das heißt ressortübergreifende Betrachtung und Zusammenarbeit wird für die gerechte Abwägung der einzelnen Interessen auch im Sinne des Klimaschutzes immer wichtiger. Klimaschutz und Klimaanpassung sind als allgemeine Ziele leicht formuliert. In der konkreten Umsetzung müssen jedoch vielschichtige Aufgaben bewältigt werden, die hohe Ansprüche an das vernetzte Denken stellen. Hier bleibt auch auf struktureller Ebene noch viel zu tun.
Stephanie Otto