Im Broadway Nº 11 – 2019/2020 nehmen wir das Thema „Vielfalt“ beim Wort: Von den ganz unterschiedlichen Voraussetzungen für ein gelingendes Zusammenleben in Vielfalt, über die Vielfalt der Flächennutzung im Handel, tierische Artenvielfalt, queeres Leben, Vielfalt der Kulturen und Religionen und weitere vielfältige Aspekte des Lebens und Arbeitens im Bezirkszentrum Karl-Marx-Straße.
Die Vielfalt der Angebote
Die City rund um die Karl-Marx-Straße wird seit 2008 im Netzwerk [Aktion! Karl-Marx-Straße] als ein sogenanntes Berliner Hauptzentrum mit überbezirklichem Versorgungsanspruch entwickelt. „Funktionsschwächen“ werden hier beseitigt und es wird eine Neuausrichtung des Zentrums nach dem Leitbild „Handeln, Begegnen, Erleben“ verfolgt. Wird es gelingen?
© Bergsee, blau
Ein ansprechend umgestalteter öffentlicher Raum ist für die künftige Karl-Marx-Straße ebenso wichtig wie ein bedarfsgerechtes und umfassendes Spektrum der Angebote. Daher genehmigt der Fachbereich Stadtplanung Neuvermietungen und Umstrukturierungen von Immobilien nur dann, wenn sie dem Leitbild für das Zentrum entsprechen. Wird die Neuausrichtung des Zentrums im Interesse der künftig zu erwartenden Kund*innen und Besucher*innen gelingen?
Einen Teil der Antwort bringt die Rückschau auf die bisherigen großen und damit besonders prägenden Projektentwicklungen. So wurde das Hertie-Kaufhaus in ein Geschäftshaus mit dem Schwerpunkt Mode umgewandelt, der Heimathafen Neukölln als mittlerweile berlinweit erfolgreicher Kulturveranstalter übernahm den wenig präsenten Saalbau Neukölln und das Karstadt-Schnäppchencenter zog in das alte Sinn-Leffers-Kaufhaus. Auf dem ehemaligen Kindl-Gelände eröffneten mit dem schwul-lesbischen Zentrum „SchwuZ“, dem Eventveranstalter „Golden Box“ und dem Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst gleich drei große Berliner Kulturanbieter. Bedeutende Neuansiedlungen in den Neukölln Arcaden waren das bezirkliche AOK-Kundencenter und der berlinweit beliebte „Kulturdachgarten Klunkerkranich“. Büroflächen am Alfred-Scholz-Platz wurden in das Hostel RixHouse umgenutzt und im Frühjahr kam auch die Umwandlung des großflächigen CLAVIS-Elektrofachmarktes in eine Eventgastronomie dazu. Die Berliner Sparkasse ist an der Straße umgezogen und hat am alten Standort Platz für den Second-Hand-Modehändler Humana gemacht. All diese vornehmlich kulturellen Angebote haben sowohl Image als auch Angebotsspektrum und Einzugsgebiet der Karl-Marx-Straße deutlich erweitert.
Angebote der Karl-Marx-Straße mit ihren Einzugsbereichen
Der Schwerpunkt der derzeit im Bau, bereits im Genehmigungsverfahren oder noch in der Planung befindlichen Immobilien liegt woanders. Prägend sind insbesondere großflächige Konzepte für nicht oder nur wenig kundenorientierte Büroarbeitsplätze, Neubaukonzepte für das sogenannte möblierte „Mikrowohnen“ auf kleinster Fläche und Umnutzungsbegehren von Wohn- und Gewerbeflächen in Ferienwohnungen und vergleichbare Beherbergungsarten. Der konzeptionelle Schwerpunkt liegt derzeit – mit Ausnahme des Bereichs Gastronomie – bei den Themen „Unterkunft“ und „Arbeiten“ und nicht mehr bei den für die Funktionsfähigkeit des Zentrums wichtigen Angeboten. Hier sprechen die vor Ort tätigen Entwickler häufig von Marktsättigung, fehlender Wirtschaftlichkeit oder beim Einzelhandel auch von mangelnder Perspektive, was auch der häufig anderenorts zu beobachtenden Entwicklung entspricht. Ehemals zentrentragende Angebote verändern sich grundlegend und gehen teilweise verloren.
So wird die Alte Post derzeit überwiegend zu einem Standort für Co-Working und sonstige Büroflächen umgebaut und für den hinteren Teil des Grundstücks wurde u. a. die Errichtung von möblierten Kleinstwohnungen überwiegend für Studierende genehmigt. Für das im Sommer geschlossene Schnäppchencenter, das sich durchaus weiter im Zentrum Karl-Marx-Straße gesehen hätte, mit dem dahinterliegenden Parkhaus wurde ein Bauantrag eingereicht, der hier künftig überwiegend Co-Working-Spaces und andere Büroflächen vorsieht – ergänzt in vergleichsweise geringem Flächenumfang mit einem Lebensmittelmarkt und gastronomischen Angeboten.
Nutzungsvielfalt an der Karl-Marx-Straße
Unweit des Heimathafen Neukölln wollen das Deutsche und Berliner Chorzentrum ihre neuen Verwaltungssitze bauen und durch eine musikalisch orientierte Kita ergänzen. Die Angebotsvielfalt erhöhend und klar zentrenstärkend ist insbesondere der im November neu eröffnete vierte Berliner Kaufhausstandort des Künstlermaterialienanbieters boesner auf drei Etagen im ehemaligen H&M-Kaufhaus.
Es zeigt sich, dass über die für Grundstückseigentümer wirtschaftlich attraktiven Projektentwicklungen in letzter Zeit vermehrt nicht mehr immer der gewünschte Beitrag zur Stärkung des Zentrums erreicht werden kann und die Umsetzung des Leitbildes für das Gebiet schwieriger wird. Es entsteht gleichzeitig eine neue Qualität von Arbeitsstandort mit einem neuen Typus von Büroarbeiter*innen im städtebaulichen Herzen des Bezirks. Hier lässt sich durchaus fragen, mit welchen Erwartungen an die künftige Bezirksentwicklung dies geschieht und welche gesellschaftlichen Veränderungen sich bei der Fortsetzung des Trends künftig ergeben können.
Dirk Faulenbach, Fachbereich Stadtplanung