Die 14. Ausgabe des BROADWAY steht unter dem Titel „Was wir können“. Die Beiträge zeigen exemplarisch, wie lebendige Angebote auch entgegen der aktuellen Krisen durch gemeinsames Wirken entstehen und erhalten werden können. Wir sprechen mit Gewerbetreibenden, Kulturschaffenden und sozial Engagierten entlang der Karl-Marx-Straße, widmen uns dem Thema der Müllvermeidung, geben einen Einblick in die gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung und zeigen, wie sich ein inklusives Zusammenleben im Zentrum gestalten und von Vielfalt bereichern lässt.

Stand Juli 2023

Was wir gemeinsam können

Corona-Pandemie, Energie-Krise, Inflation – die Folgen dieser Entwicklungen beschäftigen aktuell viele Akteurinnen und Akteure im Zentrum Karl-Marx-Straße. Unter dem Titel „Bestehen trotz Krise(n) – Was wir gemeinsam können“ lud das Bezirksamt im November 2022 deshalb zum ersten „Zentrumsdialog der [Aktion! Karl-Marx-Straße]“ ein.

Im leerstehenden Erdgeschoss der Karl-Marx-Straße 84 kam eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren aus dem Zentrum Karl-Marx-Straße für eine kritische Bestandsaufnahme und einen Austausch über Entwicklungsperspektiven für das Neuköllner Zentrum zusammen. Die Teilnehmenden aus den Bereichen Handel, Kultur, Öffentlicher Raum, Verwaltung sowie Projektentwicklung teilten die Erfahrungen aus ihrer täglichen Praxis. Auffällig war hierbei, dass alle Beiträge sowohl von den „Nachwehen“ der Corona-Pandemie als auch von der Energie-Krise geprägt waren. Jeder war aber wiederum auf eine etwas andere Weise betroffen. In diesem Artikel möchten wir an die Diskussionen aus dem Zentrumsdialog anschließen und nochmal einen intensiveren Blick auf die Themen Handel und Öffentlicher Raum werfen. Welche Fragestellungen hatten die Akteurinnen und Akteure auf dem Zentrumsdialog besonders beschäftigt und was ist seitdem passiert? Konnte der Winter trotz der anstehenden Herausforderungen gut überstanden werden?

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Handel
Die Corona-Pandemie hatte den Handel im Zentrum Karl-Marx-Straße zwischenzeitlich nahezu zum Stillstand gebracht. Verschärft wurde die Situation nachfolgend durch den Krieg in der Ukraine. Besonders im Bereich des Einzelhandels stiegen durch die Energie-Krise die Betriebskosten im Jahr 2022 in enorme Höhen. Außerdem führt die steigende Inflation auf der Konsumentenseite zu einer immer größeren Kaufzurückhaltung. Dies trifft zusammen mit Veränderungen, die schon seit längerem im Gange sind – allen voran der durch die Digitalisierung bedingte Strukturwandel im Handel sowie die Herausforderungen, die sich durch den Klimawandel ergeben. Welche Auswirkungen all dies auf den Einzelhandel entlang der Karl-Marx-Straße haben wird, ist – wie in allen anderen Zentren – noch lange nicht abschließend abzusehen.

Nicht alle Gewerbetreibenden waren von den Folgen der Pandemie gleichermaßen betroffen. Es gab bei den Menschen offenbar ein großes Bedürfnis, es sich zumindest zuhause schön zu machen oder sie entdeckten die Leidenschaft für heimisches Basteln und weitere kreative Gestaltungsmöglichkeiten. So war beispielsweise beim Künstlerbedarf oder im Blumengeschäft eher keine Kaufzurückhaltung zu bemerken. Doch auch hier wurde im November durch die hohen Energiepreise und die steigende Inflation ein anderes Bild erwartet. Schwierig gestaltete sich ebenso die Situation der Händlerinnen und Händler des Wochenmarkts auf dem Karl-Marx-Platz. Viele sorgten sich im Winter um ihre Existenz, da mittlerweile bedarfsorientierter und günstiger eingekauft wird. Bio-Angebote etwa werden weniger nachgefragt. Das bedroht vor allem kleinere Händlerinnen und Händler mit individuelleren Angeboten. Diese tragen aber im Besonderen zu der positiven Atmosphäre des Marktes bei.

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Herr Meinhold (Handelsverband Berlin Brandenburg) bestätigte auf dem Zentrumsdialog, dass die dargestellte Situation der Einzelhändlerinnen und Einzelhändler auch dem Kenntnisstand des HBB entspricht. Die wirtschaftliche Perspektive war damals für den Winter 2022/23 noch nicht abschätzbar. Im Frühjahr 2023 konnte Herr Meinhold jedoch die Annahmen bestätigen: „Im Berliner Einzelhandel ist die Situation nach der unsicheren Energieversorgungslage im vergangenen Winter weiterhin angespannt. Dennoch verstärkten die Preiserhöhungen der Energieversorger den Druck auf Händlerinnen und Händler, allein von Dezember 2022 auf Januar 2023 stiegen die Energiekosten um 16,7 Prozent. Das ist vor allem dramatisch, wenn man bedenkt, dass grob 1,5 bis 2 Prozent vom Handelsumsatz für Energie bezahlt werden, was bei einer traditionell knappen Umsatzrendite von 1,5 bis 3 Prozent existenzgefährdend sein kann.“

Die Erhöhung der Energiepreise stellt jedoch nicht die einzige Herausforderung für den Einzelhandel dar. Auch die Umsätze sind laut Herrn Meinhold in den vergangenen Jahren eingebrochen: „So wurde 2022 beispielsweise im Berliner Lebensmitteleinzelhandel inflationsbereinigt ein Umsatzrückgang von 2,2 Prozent verzeichnet. Dies liegt auch an den Kundinnen und Kunden, die selbst mit erhöhten Energiepreisen zu kämpfen haben und deshalb preisbewusster einkaufen. Deshalb mussten viele Inhaberinnen und Inhaber nach den zehrenden Pandemiejahren wiederholt Rücklagen antasten. Der Mangel an Ersparnissen, die sich verstetigende Inflation, die daraus resultierende Konsumzurückhaltung und die Unsicherheiten bei der Energieversorgung stellen somit auch für das Jahr 2023 eine echte Gefahr für den Berliner Einzelhandel dar.“

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Öffentlicher Raum
Im Hinblick auf den öffentlichen Raum stellte der Marktbetreiber im November die Situation des Wochenmarkts am Karl-Marx-Platz dar. Er begrüßte ausdrücklich die Unterstützung des Bezirks für den Markt. Diese zeigt sich einerseits in Form der geplanten Umgestaltung und anderseits in der bereits erfolgten Verkehrssperrung in Richtung Richardplatz, die das KFZ-Aufkommen auf dem Platz erheblich verringert und damit zu einer besseren Aufenthaltsqualität auch auf dem Markt beigetragen hat. Mit Blick auf die Zukunft wünschte er sich angesichts der Krisen für das Zentrum eine Kampagne unter dem Motto „Neukölln steht zusammen”.

Die Energiekrise hat aber auch Auswirkungen auf die Umsetzung der geplanten Fördermaßnahmen des Sanierungsgebiets Karl-Marx-Straße / Sonnenallee. So führten unter anderem die Preissteigerungen bei Baumaterialien dazu, dass Fördermaßnahmen neu kalkuliert und zum Teil längere Bauzeiten vorgesehen werden mussten. Ein Ende der Finanzierung von sich in Bau befindenden Fördermaßnahmen ist allerdings nicht zu befürchten.

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Ein Problem, das den öffentlichen Raum im Sanierungsgebiet trotz des Einsatzes von Städtebaufördermitteln belastet, ist die Ablagerung von Müll. Regelmäßig wird in der Lenkungsgruppe der [Aktion! Karl-Marx-Straße], aber auch per Kontaktformular gegenüber der Verwaltung und der Prozesssteuerung, die Vermüllung des öffentlichen Raums kritisiert. Diesbezüglich sind die Eingriffsmöglichkeiten im Rahmen des Sanierungs- und Fördergebiets sehr eingeschränkt. Für saubere Straßen und Plätze in Neukölln ist das Bezirksamt zuständig. Hierzu zählt auch die Ahndung von Verstößen gegen das Straßenreinigungsgesetz (StrReinG). Die BSR reinigt die Straßen entsprechend der festgelegten Reinigungsklassen. An dieser Stelle sei ebenfalls auf die Initiative „Schön wie wir“ verwiesen, die auf den nächsten Seiten vorgestellt wird. Um Müllablagerungen und konkrete Verschmutzungen im öffentlichen Raum zu melden, kann man sich zudem an das zuständige Ordnungsamt wenden: www.ordnungsamt.berlin.de.

Sowohl beim Handel als auch bei der weiteren Gestaltung des öffentlichen Raums gibt es weiterhin viele Unsicherheiten und offene Fragen – sei es aufgrund der anhaltenden Inflation oder der fortschreitenden Digitalisierung. Ziel der Zentrumsentwicklung wird es weiterhin sein, alle Handlungsfelder zusammen zu denken und sie breit aufzustellen. Je diverser die Nutzungen und größer das Engagement aller, desto lebendiger, bereichernder und widerstandsfähiger kann das Zentrum sein. Dabei hat die Aufwertung des öffentlichen Raums einen direkten Einfluss auf den Einzelhandel und die weiteren Angebote. Mehr Aufenthaltsqualität trägt auch zu einem größeren Besucherzustrom in das Zentrum bei. Die [Aktion! Karl-Marx-Straße] wird auch zukünftig als Akteursnetzwerk unter dem Leitbild „Handeln, Begegnen, Erleben“ die Entwicklungen im Zentrum begleiten und die Akteurinnen und Akteure bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen unterstützen. Der Austausch in der Lenkungsgruppe sowie auf dem Zentrumsdialog der [Aktion! Karl-Marx-Straße] wird ein wichtiger Bestandteil davon sein, sodass das Zentrum Karl-Marx-Straße auch in den nächsten Jahren gemeinschaftlich und erfolgreich in die Zukunft blicken kann.

David Fritz, BSG
Illustrationen: Johanna Götz