Neues entsteht
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #8 – 2021, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Juli 2021
Neues entsteht
Die Geschichte der Warenhauskultur in der Karl-Marx-Straße
„Ich habe mal irgendwo eine Karikatur gesehen, das moderne Warenhaus als Ventilator, in dessen weitgeöffneten Rachen groß und klein, alt und jung, Männlein und Weiblein verschwand, dessen Saugkraft alle in sich hineinzog“ (Leo Colze, 1908). Heute ist dies ein kaum noch vorstellbares Bild. Der Konsumtempel mit allen Waren unter einem Dach hat deutschlandweit ausgedient, so scheint es.
Das Warenhaus Hertie prägte für gut ein halbes Jahrhundert die Karl-Marx-Straße; gegenüber sieht man das 1953 errichtete Mode-Kaufhaus C&A (Abbildung um 1970), © Museum Neukölln
An der Karl-Marx-Straße begann der Niedergang der Warenhäuser schon ab 2005, als das Kaufhaus Hertie und das Modehaus SinnLeffers ihre Pforten schlossen. 2012 war auch im C&A an der Ecke Anzengruberstraße Ausverkauf. Die Immobilien und Standorte sind in den Neuköllner Sanierungszielen weiterhin als wichtige Standorte, als „Schlüsselimmobilien“, gekennzeichnet. Was hier entsteht, wird sich unmittelbar auf die Qualität des Zentrums Karl-Marx-Straße auswirken und muss deshalb besonders sorgfältig betrachtet werden. Der Blick zurück macht deutlich, dass der Drang zur Veränderung charakteristisch für die Entwicklung der Warenhauskultur war und ist. Dies gilt heute umso mehr, weil sich Ansprüche und Möglichkeiten des Konsums unter anderem durch den Online-Handel in den letzten Jahren grundlegend wandeln.
Die Faszination der neuen Warenwelt nach 1900
Leo Colze beschreibt in seinem Buch „Berliner Warenhäuser“ eindrücklich die Faszination für weite Teile der Bevölkerung, die Anfang des letzten Jahrhunderts von den neuen Warenhauspalästen ausging. Seiner Analyse nach hatten die Warenhäuser erheblichen Einfluss auf die Entwicklung Berlins zu einer Weltmetropole und auch für die Kultur der Geschäfte insgesamt. „Überall da, wo Warenhauspaläste entstanden, begann sich bald in naturgemäßer Folge ein überaus reger Verkehr zu entwickeln. In weiser Erkenntnis dieses zunehmenden Geschäftsverkehrs siedelten sich … Spezialgeschäfte der verschiedensten Branchen an, ihre Fassaden modern ausbauend, in Form und Inhalt das Beste vom Warenhause auf ihren Betrieb übertragend.“ Das war 1908. Die Welle der Warenhauskultur war über Paris und London nach Berlin geschwappt und revolutionierte das bisherige Einkaufsverhalten. Die internationalen Waren konnten von jedem und jeder über Einkommens- und Bildungsschichten hinweg sowie ohne Kaufzwang angeschaut und erworben werden. Kunde und Kundin wurden zum König, egal aus welcher Schicht sie stammten. Ratenkauf und Umtauschrecht ließen Träume wahr werden.
In der großen Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre ging es für die Warenhäuser wirtschaftlich erstmals bergab. Der Zweite Weltkrieg tat sein Übriges. Zu wirklich goldenen Jahre der Warenhäuser wurden die späten 1950er Jahre. Nach den Entbehrungen der Nachkriegszeit gab es einen großen Konsum-Nachholbedarf. Sinnbildlich für das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik, das breite Teile der Bevölkerung erreicht hatte, stand die riesige Auswahl der bunten Warenwelt der Warenhäuser.
Das bunte Warensortiment im Kaufhaus „H. Joseph & Co.“, um 1930, © Museum Neukölln
Das Kaufhaus H. Joseph & Co.
(nachfolgend Hertie, Karl-Marx-Strasse 92)
Nach 1900 gründeten die jüdischen Kaufleute Hermann Joseph und Sally Rehfisch das Neuköllner Kaufhaus H. Joseph & Co. in den Räumen des ehemaligen „Varieté Cafés Germania“ und bauten es zunächst zu einem Mode-Warenhaus aus. Schnell wurde das Haus zum größten Kaufhaus Neuköllns – bis mit dem Bau von Karstadt am Hermannplatz ein neuer Warenhaustempel in Neukölln entstand. Nach der letzten Erweiterung 1928 nahm die neue und prächtige Jugendstilfassade die gesamte Straßenfront zwischen Neckar- und Jägerstraße (heute Rollbergstraße) ein. Hinter dem Haupteingang erstreckte sich ein großer Innenhof mit einem breiten, zentralen Treppenhaus unter einer Glaskuppel. Jenseits des vielfältigen Warenangebots wurde das Publikum mit kulturellen Veranstaltungen ins Haus gelockt.
Das Ende kam für die Geschäftsleute mit dem Nationalsozialismus. Ohne Entschädigung an die Eigentümer übernahm die Max Friedland GmbH 1936 das Grundstück. Im Krieg wurde das Gebäude weitgehend verschont. 1950 erhielten Hermann Joseph und die Erben seines Geschäftspartners ihren Besitz zurück und für zwei Jahre wurde hier das „Kaufhaus Neukölln“ eingerichtet. Die Morgenpost berichtete am 11. März 1950: „Der Straßenverkehr in der Karl-Marx-Straße war gestern kurz vor 15 Uhr gefährdet. So stark ballte sich eine tausendköpfige Menschenmenge vor der geräumigen Einkaufshalle des neuen Kaufhauses Neukölln (…). In weniger als sechs Wochen Umbauzeit entstand aus dem alten Hermann-Joseph-Haus, das dem Bezirksamt vorübergehend als kommunales Lebensmittellager gedient hatte, das zur Zeit größte Warenhaus Berlins mit 30 Schaufenstern, 8 Fahrstühlen und zwei Rolltreppen.“
1952 übernahm die Firma Hertie den Standort. Fünfzehn Jahre später brach auch architektonisch eine neue Zeit an und ein großer Umbau wurde beendet. Von der Jugendstilfassade war nichts mehr zu erkennen. Die Berliner Morgenpost schrieb im November 1967 unter dem Titel „Schlaraffenland mit Selbstbedienung“: „Aus alt mach neu im Berliner Tempo – Hertie Neukölln zeigt es seit Februar der staunenden Menge. Zuerst wurde das Kaufhaus in der Karl-Marx-Straße regelrecht ‚halbiert‘. In der einen Hälfte ging der Verkauf munter weiter, in der anderen wütete die Spitzhacke. Kaum war das letzte Stück Altbau beseitigt, rückten die Handwerker an. (…) Das Erdgeschoß mit 20 Abteilungen sowie das Tiefgeschoß sind fertig; strahlend hell, vollklimatisiert und durch einen Eingang mit Luftschleuse zu erreichen.“ 1968 erfolgte der Abriss von vier Wohnhäusern in der Rollbergstraße, um das Kaufhaus nochmals, vor allem durch ein Parkhaus für 700 Autos, zu erweitern. Zu diesem Zeitpunkt bot es eine Nutzfläche von 30.000 Quadratmetern und war damit das größte aller Berliner Hertie-Häuser.
1983 investierte der Hertie-Konzern nochmals 12 Millionen Mark in eine erneute Modernisierung des Hauses. Zu diesem Zeitpunkt waren hier rund 1.000 Mitarbeitende beschäftigt. Im Dezember 2005 schloss das traditionsreiche Haus. Cornelia Hüge schreibt in ihrem Buch „Die Karl-Marx-Straße, Facetten eines Lebens- und Arbeitsraums“: „Der Außenraum wirkte bald nur noch wie ein tristes Betonmonument, das den Niedergang im Neuköllner Stadtzentrum symbolisierte.“ Von 2008 bis 2010 entstand nach umfassenden Umbaumaßnahmen das heutige Büro- und Geschäftshaus, das als ein erstes Zeichen des neuen Aufbruchs in der Karl-Marx-Straße gedeutet werden kann.
Hauptfront des Kaufhauses „H. Joseph & Co. in der Berliner Straße (Karl-Marx-Straße), 1928 (fototechnisch historisch bearbeitete Aufnahme), © Museum Neukölln
C&A, Quelle, SinnLeffers –
Die Standorte Karl-Marx-Straße 95 und 101
Das Modekaufhaus C&A zog in das eigens errichtete Gebäude an der Ecke Anzengruberstraße. Beim Baubeginn im April 1953 mussten erst einmal 3000 Kubikmeter Trümmer entfernt und 130 Kubikmeter Stahlbeton von alten Tresorwänden des ehemaligen Bankgebäudes ausgegraben werden. Bei der Eröffnung im September 1953 strömten die Berliner zu Tausenden in die Verkaufsräume. Bürgermeister Reuter beglückwünschte in einem Telegramm den Neubau in Neukölln „als ein weiteres Zeichen für das Vertrauen, das die Firma der wirtschaftlichen Entwicklung Berlins entgegenbringe“ (Berliner Morgenpost, 25.9.1953). Bereits in den späten 1970er Jahren entstand an dieser Stelle wiederum ein Neubau, 1990 wurde dieses Gebäude dann noch einmal umfassend erneuert. Nach der Schließung der C&A-Filiale an diesem Standort wurde das Haus ab 2015 vorübergehend als Unterkunft für Geflüchtete genutzt. Für das zwischenzeitlich wieder leerstehende Gebäude gibt es derzeit neue Perspektiven.
Zur Eröffnung des Quelle-Kaufhauses an der Karl-Marx-Straße 101 im Jahr 1971 strömten wiederum Tausende in die Geschäftsstraße. Die Zeitung berichtete: „Hätten nicht Polizei und BVG schnell geschaltet, wäre gestern in Neukölln der Verkehr zum Erliegen gekommen.“ 1.500 Kauflustige drängten sich vor dem Gebäude, Busse und U-Bahnen machten Sonderfahrten, um den Andrang zu bewältigen.
Quelle trennte sich 1993 bundesweit von 14 ihrer 20 Warenhäuser. Getätigte Millioneninvestitionen hatten sich nicht gelohnt, das Publikumsinteresse war nicht so groß wie erhofft. Davon auch betroffen war das Haus in der Karl-Marx-Straße, das aber von dem konzerneigenen Modehaus SinnLeffers übernommen wurde. Nach dessen Räumung 2006 nutzte das „Karstadt-Schnäppchencenter“ die Flächen. Nun wird wieder umgebaut. Unter dem Namen „Kalle Neukölln“ wird neues Leben an den Standort ziehen (www.kalle-neukoelln.com).
Großer Andrang zur Eröffnung des Quelle-Kaufhauses 1971, © Museum Neukölln
Neue Konzepte für ein lebendiges Zentrum
Der Mythos des klassischen Warenhauses, den manche noch sehnsüchtig beschwören, scheint nicht mehr zurückzukehren. „Alles unter einem Dach“ funktioniert nicht mehr, wo die Lebensstile und Produktpaletten immer individueller werden. Bereits seit den 1970er Jahre waren in den meisten Häusern die Umsätze gesunken. Der wachsende Online-Handel und die Corona-Pandemie geben den Kaufhäusern ohne Neuerfindung der Konzepte den Rest. 2020 gab der Konzern „Galeria Karstadt Kaufhof“ bekannt, deutschlandweit 50 seiner 171 Standorte schließen zu wollen. Eine traurige Entwicklung für viele innerstädtischen Geschäftsstraßen. Es braucht neue Ideen für die zum Teil großen leerstehenden Immobilien. Zum Erfolg neuer Nutzungen und Umbauten wird es wichtig sein, die Lebenswelten der Nachbarschaft in den Geschäftskonzepten zu berücksichtigen. Die Karl-Marx-Straße ist auch dank der Förderung durch das Sanierungsgebiet auf dem Weg.
Stephanie Otto
Baufortschritt an der Reuterstraße 10
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #8 – 2021, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Juli 2021
Baufortschritt an der Reuterstraße 10
Bauablauf für Blueberry Inn und Spielplatz wurde geändert
Seit Sommer 2020 ist zwischen der Karl-Marx-Straße 52 und Reuterstraße 10 das Gelände des ehemaligen Käpt‘n-Blaubär-Spielplatzes und der Jugendeinrichtung Blueberry Inn gesperrt: Hier haben die Neubaumaßnahmen für die Erweiterung der Kinder- und Jugendeinrichtung und des Spielplatzes begonnen.
Bagger schaffen Platz für das neue Blueberry Inn und die Gestaltung der Freiflächen, © Bergsee, blau
Aufgrund von Bauverzögerungen wurde nun der Bauablauf geändert und in zwei zeitlich voneinander unabhängige Bauabschnitte unterteilt, damit die Fertigstellung aller Maßnahmen bis 2023 sichergestellt werden kann.
Im ersten Bauabschnitt wird die neue, dann durchgehend beleuchtete Durchwegung durch den Blockinnenbereich vorgezogen. Damit wird es voraussichtlich schon Anfang 2022 wieder möglich sein, hier zu Fuß von der Reuterstraße zur Karl-Marx-Straße zu gelangen. Dies war zunächst erst für 2023 – nach Abschluss aller Hochbaumaßnahmen – vorgesehen. Auch werden zwei Bereiche der neuen Spielanlagen, ein großes Kletter- und Schaukelobjekt und der Kleinkindspielbereich mit Wasserpumpe, bereits in diesem Jahr fertiggestellt. Die Errichtung des Neubaus des Blueberry Inn wird in diesem Sommer beginnen (2. Bauabschnitt) und soll bis Ende 2022 abgeschlossen sein. Anschließend werden noch die Platz- und Gartenflächen um den Neubau und der Spielbereich „Urban Sports“ bis zum Frühsommer 2023 hergestellt.
Kunstbrücke am Wildenbruch
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #8 – 2021, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Juli 2021
Kunstbrücke am Wildenbruch
Ein neuer experimenteller Kulturort im Gebiet
Die historische Toilettenanlage an der Wildenbruchbrücke ist ein skurriler Ort mit einem außergewöhnlichen Charme. Deshalb wird die Anlage, die ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen kann und daher bereits seit längerem dem Verfall preisgegeben ist, derzeit vom Fachbereich Kultur des Bezirksamtes Neukölln zu einem in Berlin einmaligen, experimentellen Kulturort, der „Kunstbrücke am Wildenbruch“, umgebaut.
Der alte Anleger Wildenbruchbrücke mit der ehemaligen Toilettenanlage rechts im Bild, die nun zum Kunstort wird, © cvk*
Die Kunstbrücke wird vier kleine Ausstellungsräume umfassen, die noch an die ursprüngliche Nutzung erinnern. Zum Außengelände gehört die alte Anlegestelle am Neuköllner Schifffahrtskanal mit einer großen Kunstwand, die von der gegenüberliegenden Uferseite aus ein Blickfang ist. An diesem – durch seine Lage und Geschichte – außergewöhnlichen „Örtchen“ werden junge Berliner Künstlerinnen und Kuratoren unterschiedlichste Projekte von Ausstellungen über verschiedene Events bis zu Aktionen im öffentlichen Raum entwickeln.
Ungewöhnliche Kunst- und Kulturräume, für die Berlin lange berühmt war, verschwinden immer mehr aus dem Stadtbild. Events an solchen Orten sind nach wie vor bei Jung und Alt sehr beliebt; Künstlerinnen und Künstler sehnen sich nach Räumen, die eine Auseinandersetzung mit ihnen provozieren. Die historische Toilettenanlage an der Wildenbruchbrücke ist wie geschaffen, darauf eine Antwort zu geben. Dieser einmalig „schräge“ Ort kann Kunstschaffende und Besuchende durch seine spezifische Ausstrahlung ganz anders inspirieren als die im Kunstbetrieb sonst üblichen schlichten weißen Räume, die sogenannten White Cubes.
Hier entstehen Flächen für kulturelle Events (links), die Räume von innen, Oberlichter bieten beste Bedingungen für Ausstellungen(rechts), © cvk*
Wie gut sich der Ort als Raum für Kunst eignet, hat sich bereits bei kurzzeitigen temporären Zwischennutzungen im Rahmen der Festivals 48 Stunden Neukölln gezeigt. Diese wurden wegen der Baufälligkeit des Gebäudes nicht fortgeführt. Heute jedoch ergibt sich im Zuge der Sanierungsmaßnahmen im Kiez die Möglichkeit, die Kunstbrücke als Kulturort langfristig zu sichern.
Durch die beiden Eingänge und die Anordnung der Wände in der Form eines Fugenkreuzes besteht die Möglichkeit eines Rundgangs durch vier in etwa gleich große Räume. In den Innenräumen ist die variierende Lichtsituation bei Tage besonders reizvoll: In den beiden vorderen Räumen flutet Licht durch zwei großzügige Fenster, die den Blick auf den Kanal und das gegenüberliegende Ufer freigeben. Die beiden hinteren Räume erfahren durch die Oberlichter eine für Kunst besonders geeignete, einmalige Beleuchtung von oben.
Die Aufenthaltsqualität des Weigandufers vom Lohmühlen- bis zum Wildenbruchplatz hat durch die jüngsten Sanierungsmaßnahmen zugenommen. Die Menschen flanieren gerne auf der begrünten Uferpromenade, treiben Sport und genießen die Natur auf den Bänken im Wildenbruchpark. Durch die Kunstbrücke wird dieses Freizeitangebot um ein kulturelles Angebot ergänzt: Der kommunale Kunstort wird ohne Eintrittsgelder für alle zugänglich sein. Seine großzügigen Außenanlagen bilden eine hervorragende Bühne für unterschiedlichste kulturelle Events. So hat die Kunstbrücke das Potenzial, sowohl zum beliebten Treffpunkt im Kiez zu werden, als auch darüber hinaus als besondere Location Aufmerksamkeit zu erregen.
Auf Grund ihrer räumlichen Besonderheit und den Fokus auf junge, experimentelle Kunst wird die Kunstbrücke am Wildenbruch die beiden etablierten Galerien im Körnerpark und im Saalbau auf ideale Weise ergänzen und den Kiez kulturell beleben. Die Eröffnung der Kunstbrücke ist nach ersten Instandsetzungen für September 2021 geplant.
Dorothee Bienert, Leiterin der kommunalen Galerien Neukölln
Mitwirkung ausdrücklich erwünscht!
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #8 – 2021, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Juli 2021
Mitwirkung ausdrücklich erwünscht!
Der Mitmach-Laden Neukölln unterstützt dabei
Im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee gibt es seit Beginn des Sanierungszeitraums bereits umfassende Formate der Information und Beteiligung. Neukölln hat im Frühjahr 2021 nun eine neue Anlaufstelle für Bürgerbeteiligung unter dem Namen „Mitmach-Laden“ für den ganzen Bezirk eröffnet. Sie ist ein wesentlicher Baustein bei der Umsetzung der bezirklichen „Leitlinien für Bürger*innenbeteiligung“. Diese orientieren sich wiederum an den 2019 festgelegten Berliner Leitlinien für Beteiligung. Die Angebote des Mitmach-Ladens sind damit ein weiterer Baustein einer guten Beteiligungskultur im gesamten Bezirk.
Das Team vom Mitmach-Laden in der Hertzbergstraße 22: Ursula Holsten, Lukas Schulte (hinten),
Stella Malliara, Gizem Akgül, Franziska Zeisig (vorne), © Mitmach-Laden Neukölln
Wir sprachen mit Stella Malliara, Ursula Holsten, Lukas Schulte und Gizem Akgül vom Mitmach-Laden über ihre Aufgaben.
KS: Warum wurde in Neukölln eine Anlaufstelle für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern eingerichtet?
Malliara: Die Grundlage hierfür ist das Beteiligungskonzept der Berliner Leitlinien für Beteiligung. Eins der darin vorgeschlagenen Instrumente zur Umsetzung ist die Einrichtung von Anlaufstellen in den Bezirken. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hat den Bezirken dafür eine Anschubfinanzierung für zwei Jahre zur Verfügung gestellt. Das Bezirksamt hat im letzten Jahr mit der Umsetzung begonnen, seit diesem Jahr ist auch die Bürgerstiftung Neukölln als zivilgesellschaftlicher Träger dabei, seit April 2021 hat der Mitmach-Laden offiziell geöffnet. Davor haben wir die Strukturen für unsere gemeinsame Arbeit aufgebaut. Zudem war es ein wichtiger und guter Schritt, um die Beteiligungsstrukturen in Neukölln zu stärken und um gemeinsam an dem Ziel zu arbeiten, qualitativ gute Beteiligungsprozesse umsetzen zu können.
KS: Gibt es Vorgaben des Landes Berlin, wie eine bezirkliche Anlaufstelle aufgebaut werden soll?
Malliara: Jeder Bezirk kann eigenverantwortlich entscheiden, welche Struktur er wählt. Von Seiten des Senats wird empfohlen, die Anlaufstellen gleichberechtigt mit Mitarbeitenden aus dem Bezirksamt und einem freien zivilgesellschaftlichen Träger zu besetzen. Neukölln ist dieser Empfehlung bewusst gefolgt.
KS: Worum kümmert sich der Mitmach-Laden?
Schulte: Wir kümmern uns um den Aufbau und die Pflege einer bezirklichen Vorhabenliste. Wir entwickeln zudem Strategien und bauen Netzwerke auf, um auch Zielgruppen zu erreichen, die ihre Ideen bisher nicht ins Rathaus getragen haben. Wir sind aber auch dafür da, die Leitlinien anhand der Erfahrungen, die wir machen, weiterzuentwickeln. Dabei wirken wir in beide Richtungen: Wir informieren und beraten die Bezirksverwaltung und -politik und die Bürgerschaft gleichermaßen. Die Anlaufstelle berät z. B. auch Personen, wenn diese selbst Beteiligungsprojekte starten möchten.
Holsten: Wir kommunizieren also in alle Richtungen. Dabei ist es uns wichtig, eine Sprache zu nutzen, die gut verständlich ist.
KS: Können Sie das Instrument Vorhabenliste etwas genauer erklären?
Malliara: In der Vorhabenliste sollen perspektivisch alle bezirklichen Vorhaben dargestellt und veröffentlicht werden. Dies geschieht einerseits auf dem Berliner Beteiligungsportal www.mein.berlin.de und andererseits als PDF, das auch ausgedruckt im Mitmach-Laden ausliegen wird. Im Bezirksamt sind wir dabei, gemeinsam mit den Fachämtern die ersten Vorhaben zu identifizieren und diese in die Liste aufzunehmen. Auch zu weiteren praktischen Dingen der Umsetzung führen wir Workshops mit den Fachämtern durch, da sich viele praktische Fragen erst im Rahmen der Umsetzung zeigen, die dann in die Weiterentwicklung der Leitlinien einfließen.
KS: Wie möchten Sie neue Zielgruppen erreichen und wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit den verschiedenen Personen und Institutionen aus?
Schulte: Unsere Arbeit beginnt gerade. Im ersten Jahr werden wir z. B. mit den Stadtteilmüttern im Bezirk kooperieren. Diese können uns gute Hinweise geben, wie wir Familien mit Migrationserfahrung erreichen können. Darüber hinaus bauen wir Netzwerke auf, um in Kontakt mit den unterschiedlichsten Communities im Bezirk zu kommen und deren Erfahrungen zu nutzen.
Holsten: Uns ist es wichtig, mit denen zusammenzuarbeiten, die schon Netzwerke vor Ort haben. Diese sehen im Süden des Bezirks vielleicht ganz anders aus als in Nord-Neukölln, weil sich die Zusammensetzung der Bevölkerung sehr voneinander unterscheidet. Wir beschäftigen uns auch viel mit der Frage, wie wir die Menschen bei konkreten Beteiligungsprojekten vor Ort am besten informieren und erreichen können.
Malliara: Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung müssen wir „mitnehmen“. Da gilt es manchmal aufzuklären, dass viele der Leitlinien in der Umsetzung gar nicht so kompliziert sind, wie sie zunächst ausschauen. Außerdem ist uns wichtig, dass die Verwaltung einen stetigen Ansprechpartner für Fragen rund um das Thema Beteiligung hat.
Holsten: Am Anfang wird die Planung durch die neuen Verfahren der Beteiligung vielleicht etwas länger als bisher dauern. Durch die frühzeitige Einbindung vieler Interessen können mögliche Konflikte dafür schon in einer frühen Phase erkannt werden. Konflikte, die später Planungsprozesse über den Haufen geworfen oder vermeidbare Unzufriedenheit bei den Anwohnern verursacht hätten. Das bedeutet letztlich eine Zeitersparnis.
KS: Wie geschieht die Einbindung der Politik?
Malliara: In der praktischen Arbeit für uns ist die Politik eine der vielen Akteursgruppen, für die wir Ansprechpartner in allen Fragen der Beteiligung sind.
Schulte: Die Frage, wer später über welche Dinge in dem betreffenden Beteiligungsprojekt entscheidet, z. B. Bezirkspolitik oder Verwaltung, muss von Anfang an transparent in den Beteiligungskonzepten dargelegt werden. Wir haben im Bezirk nun Strukturen und Prozesse entwickelt, um gute Beteiligungsprozesse unter möglichst einheitlichen Regelungen durchführen zu können. Doch es braucht auch Zeit, diese neuen Wege zu etablieren und kreativ weiterzuentwickeln.
KS: Haben Sie ein Beispiel für ein aktuell erfolgreiches Beteiligungsprojekt in Neukölln?
Malliara: Ein gutes Beispiel sind die abgefragten Vorschläge zur Finanzierung von Maßnahmen aus dem Bezirkshaushalt über www.mein.berlin.de. In der ersten Phase sind über 180 Vorschläge gemacht worden. Davon wurden diejenigen rausgefiltert, die nicht in der Zuständigkeit des Bezirks liegen. Alle anderen werden gerade zur Abstimmung gestellt (Stand Mai 2021). Die 25 Nennungen mit den meisten Zustimmungen werden dann direkt zur Beratung in die politischen Ausschüsse gegeben.
Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Interview: Stephanie Otto
Schritt für Schritt
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #8 – 2021, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Juli 2021
Schritt für Schritt
Geförderte öffentliche Baumaßnahmen im Sanierungsgebiet
Wer diese Sanierungszeitung in seinem Briefkasten vorfindet, wohnt oder arbeitet wahrscheinlich im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee. An einigen Stellen kann man im Gebiet auf öffentliche Baumaßnahmen stoßen, die hier im Rahmen der Sanierung gefördert und umgesetzt werden. Was sind die Grundlagen dafür und wer beschließt das? Woher kommt das Geld? Wer ist am Planungsprozess beteiligt und wer entscheidet? Wir wollen etwas Licht ins Dunkel bringen – Schritt für Schritt.
Rathaus Neukölln (© Frieder Salm)
Auf welcher Grundlage werden Ziele und Maßnahmen entwickelt?
Die Stadterneuerung bzw. Städtebauförderung ist eine Gesamtmaßnahme, die sich auf ein festgelegtes Gebiet in der Regel für einen Zeitraum von 15 Jahren bezieht. Bei der Entwicklung von Sanierungszielen und Einzelmaßnahmen werden Aspekte wie Wohnen, Verkehr, Umwelt und soziale Themen einbezogen.
Vor Beginn der Gesamtmaßnahme wurde ein Sanierungskonzept für das Gebiet erarbeitet. Daran haben zum einen die Fachabteilungen des Bezirks mitgewirkt, z. B. die Fachämter Jugend, Schule und Sport, das Straßen- und Grünflächenamt oder der Fachbereich Hochbau. Zum anderen wurde mit der Öffentlichkeit und den Betroffenen im Gebiet der Konzeptentwurf erörtert und diskutiert. Das Sanierungskonzept einschließlich eines Maßnahmenplans wurde 2011 mit der förmlichen Festlegung als Sanierungsgebiet beschlossen und zuletzt 2017 fortgeschrieben – wiederum unter Beteiligung der oben genannten Stellen und der Öffentlichkeit im Gebiet. Der Maßnahmenplan konzentriert sich auf die öffentlichen Investitionsmaßnahmen zum Ausbau und zur Erneuerung der Straßen, Plätze und Grünflächen sowie die kulturelle und soziale Infrastruktur, die im Zuge des gesamten Sanierungszeitraums mit öffentlichen Mitteln durchgeführt werden sollen.
Sanierungsziele und Maßnahmenplan
Die Sanierungsziele bilden den Rahmen für die gewünschten Entwicklungen im Sanierungsgebiet und sind Grundlage für die Genehmigung oder die Versagung von baulichen Vorhaben. Die zu Beginn der Sanierung für das Gebiet festgelegten Ziele müssen, wenn es erforderlich ist, den aktuellen Verhältnissen angepasst werden. Die Sanierungsziele wurden 2017 im Rahmen eines umfassenden Entwicklungs- und Beteiligungsprozesses durch den Fachbereich Stadtplanung fortgeschrieben. Für die Fortschreibung wurden zahlreiche Studien und Untersuchungen erarbeitet. In einem Maßnahmenplan wurden die Sanierungsprojekte räumlich verortet und beschrieben. Die Studien, die Fortschreibung der Sanierungsziele und der Maßnahmenplan sind auf der Internetseite des Sanierungsgebiets einsehbar.
Woher kommt das Geld?
Die Maßnahmen zur Umsetzung der Sanierungsziele im Neuköllner Sanierungsgebiet werden derzeit mit Fördermitteln aus der Städtebauförderung im Teilprogramm „Lebendige Zentren – Erhalt und Entwicklung der Orts- und Stadtkerne“ unterstützt. Dies ist ein Bund-Länder-Programm. Das heißt, der Bund stellt dem Land Berlin auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung Finanzhilfen zur Verfügung, die von Berlin ergänzt werden.
Ernst-Abbe-Schule
Von 2012 bis 2018 wurde die Ernst-Abbe-Schule bei laufendem Betrieb erneuert. Die Kosten wurden über die Städtebauförderung und Eigenmittel des Bezirks finanziert. Beim Umbau mussten viele Beteiligte koordiniert werden: Schul- und Sportamt (räumliche Anforderungen), Fachbereich Hochbau (baufachliche Planung und Durchführung), Schulleitung (Lehrbetrieb), Fachbereich Grünflächen (Schulhof), Senatsschulverwaltung (Raumprogramm und Ausstattung), Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Fördermittel). Daneben wurden Schüler- und Lehrerschaft an der Schulhofgestaltung beteiligt.
Wer arbeitet mit wem zusammen? Wer entscheidet?
Verantwortlich für die Gesamtkoordination und die schrittweise Umsetzung der Sanierungsvorhaben ist im Bezirksamt Neukölln das Stadtentwicklungsamt. Zur Unterstützung bei der Steuerung der vielen Aufgaben wurde die BSG Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft mbH als Sanierungsbeauftragte des Landes Berlin eingesetzt. Weitere Beauftragte sind das Citymanagement der [Aktion! Karl-Marx-Straße] als Ansprechpartnerin für die Gewerbetreibenden im Zentrum Karl-Marx-Straße sowie ein Büro für Öffentlichkeitsarbeit.
Die Vorbereitung und Planung der öffentlichen Investitionsvorhaben im Sanierungsgebiet erfordern sehr viel Koordinationsaufwand, da unterschiedliche Fachämter und Dienststellen eingebunden werden müssen. Bei der Sanierung einer Schule ist z. B. das Schul- und Sportamt des Bezirks für die räumlichen Anforderungen zuständig, der Fachbereich Hochbau für die baufachliche Planung und Durchführung, die Schulleitung für die Erfordernisse des Lehrbetriebs und der Fachbereich Grünflächen für den Schulhof. Bei Baudenkmalen muss auch die Untere Denkmalschutzbehörde mitwirken. Natürlich müssen auch die Betroffenen, also z. B. die Lehrerschaft sowie die Schülerinnen und Schüler, in die Planungen einbezogen werden. In bestimmten sozialen Einrichtungen wie beispielsweise Kindergärten oder Jugendeinrichtungen ist zudem eine frühe Beteiligung des Trägers wünschenswert.
Die vielen Einzelmaßnahmen im Sanierungsgebiet müssen daher vom Fachbereich Stadtplanung und der BSG frühzeitig vorbereitet werden, damit die Fördermittel im geplanten Zeitrahmen eingesetzt werden können. Die fachlich notwendigen Entscheidungen fällt der jeweils für die Aufgabe zuständige Fachbereich. Kontroverse Fragen und Zielvorstellungen müssen in Abstimmungsprozessen ausgehandelt werden. Und nicht zuletzt werden die Vorstellungen der Betroffenen und gegebenenfalls der lokalen Öffentlichkeit in den Abstimmungsprozess einbezogen.
Kann keine Einigkeit bei den unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen erreicht werden, muss die Entscheidung über die Abteilungsleitungen bzw. das Bezirksamt gesucht werden. Dieses besteht aus dem Bezirksbürgermeister und den vier Bezirksstadträtinnen bzw. -stadträten. Bei Entscheidungen über für den Bezirk besonders bedeutsame Investitionsvorhaben wird ein Votum der Fachausschüsse der BVV eingeholt.
Weserstraße
Die Vorplanung zum Ausbau der Weserstraße zur Fahrradstraße wurde den Anwohnenden und Gewerbetreibenden im August 2019 in einer öffentlichen Erörterungsveranstaltung vorgestellt. Die Hinweise wurden gesammelt und unter Federführung des Straßen- und Grünflächenamts abgewogen. Die Bauplanungsunterlage wurde im Frühjahr 2020 durch die Senatsverwaltung Umwelt, Verkehr und Klimaschutz geprüft. Der Hauptanteil der Finanzierung kommt aus dem „Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds (SIWANA)“. Aus Mitteln des Förderprogramms „Lebendige Zentren“ werden die Umgestaltung der Kreuzungsbereiche und die Ausgestaltung der Baumscheiben finanziert. Die Umsetzung im ersten Bauabschnitt begann Ende Juni 2021, die gesamte Maßnahme wird voraussichtlich 2024 fertiggestellt sein.
Wie wird eine konkrete Maßnahme vorbereitet und geplant?
Auf dem Weg zu einer konkreten Baumaßnahme müssen zahlreiche Planungs- und Genehmigungsschritte durchlaufen werden. Im Land Berlin muss die öffentliche Hand bei ihren Bauvorhaben nach den Vorgaben der „ABau“, der „Allgemeinen Anweisung für die Vorbereitung und Durchführung von Bauaufgaben Berlins“ verfahren. Das Verfahren dient dazu, dass die Aufgaben, Zuständigkeiten und die haushaltsrechtlichen Vorschriften, insbesondere die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, gewahrt werden. Leider sind die Arbeitsschritte kleinteilig und zeitaufwändig.
Bei größeren Projekten beginnen die Vorbereitungen für eine Baumaßnahme meist mit einer Bedarfsanalyse, deren Ergebnisse in einem Bedarfsprogramm oder einem Rahmenantrag abgebildet werden. In dieser Phase werden oft schon die Öffentlichkeit oder betroffene Nutzerinnen und Nutzer eingebunden, um früh deren Hinweise abzufragen. Nachdem die grundsätzlichen Ziele und Bedarfe ermittelt und ein Grobkonzept sowie ein Kostenrahmen für das Projekt erstellt wurden, können damit erste Fördermittel für die Ausarbeitung von Planungsunterlagen beantragt werden. Die Beantragung von Fördermitteln bei der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ist dabei zu einem jährlichen Stichtag möglich.
Sobald das Bedarfsprogramm von den zuständigen Verwaltungsstellen geprüft ist und Fördermittel für das Projekt bewilligt wurden, ist es Aufgabe der bezirklichen Baudienststelle, Ingenieure oder Architekten mit der sogenannten Vorplanung zu beauftragen und einen Vorentwurf zu erstellen. Begleitend zu diesem Planungsschritt erfolgt in der Regel wieder eine öffentliche Information oder Beteiligung.
Der zweite Planungsschritt ist die konkrete Entwurfsplanung mit einer Kostenberechnung, die in die Bauplanungsunterlage (BPU) einfließen. Sowohl Vorplanung als auch BPU werden entweder vom Bezirk oder von der Senatsverwaltung fachlich und wirtschaftlich geprüft. Spätestens auf der Grundlage der Kostenberechnung beantragt der Fachbereich Stadtplanung auch die Fördermittel für die notwendigen Bau- oder Sanierungsmaßnahmen.
Wildenbruchplatz
Die Planungen für den Wildenbruchplatz begannen mit einem Vorkonzept 2016 und einer Vorentwurfsplanung 2017 im Rahmen der Gesamtmaßnahme Weigandufer / Wildenbruchplatz, die jeweils öffentlich vorgestellt und diskutiert wurden. Die konkreten Ideen zur Umgestaltung des Wildenbruchplatzes wurden im Januar 2020 erneut öffentlich vorgestellt und Hinweise zur Gestaltung abgefragt, unter Federführung des Grünflächenamtes abgewogen und in die finale Bauplanungsunterlage (BPU) eingearbeitet. Nach der Förderzusage und Ausschreibung der Bauleistungen begann der Umbau im Februar 2021.
Ab welchem Zeitpunkt beginnt die Umsetzung der Maßnahme?
Sobald eine Förderzusage erteilt wurde, kann die Umsetzung der Maßnahme beginnen. Diese startet mit der Ausschreibung von notwendigen Bauleistungen. Gegenwärtig kommt es dabei häufig zu Verzögerungen, wenn keine oder nicht dem gegebenen Kostenrahmen entsprechende Angebote von Baufirmen eingehen. Die Ausschreibung und Auswahl des wirtschaftlichsten Bewerbers übernimmt die Fachabteilung in der Verwaltung, die für die Betreuung der Baumaßnahme zuständig ist. Bei Straßenbaumaßnahmen bzw. bei der Umgestaltung von Grünflächen ist das z. B. der jeweils zuständige Fachbereich des Straßen- und Grünflächenamts, beim Umbau einer Schule der Fachbereich Hochbau. Diese Fachabteilungen stimmen sich dabei eng mit dem Fachbereich Stadtplanung bzw. der Sanierungsbeauftragten ab, die den gesamten Sanierungsprozess steuern, die Fördermittel bereitstellen und auch die Öffentlichkeit kontinuierlich über den Bauablauf informieren. Gemeinsam mit dem beauftragten Bauunternehmen werden die Bauphasen bis zur Fertigstellung festgelegt. Das Bauprojekt nimmt Gestalt an.
Torsten Kasat, Alexander Tölle, Stephanie Otto
Karlson 8
Im KARLSON #8 – 2021, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee informieren wir Sie wieder über die Entwicklungen und Projekte, die das Geschehen der städtebaulichen Sanierung aktuell prägen. In dieser Ausgabe werfen wir außerdem einen genaueren Blick auf die Prozesse, die innerhalb der Verwaltung zur Umsetzung von Maßnahmen im Sanierungsgebiet notwendig sind, und stellen Ihnen auch die neue bezirkliche Anlaufstelle für die Beteiligung von Bürger*innen vor: den Mitmach-Laden Neukölln. Ansonsten erfahren Sie in dieser Ausgabe u. a. mehr über die aktuellen Planungen für den Karl-Marx-Platz sowie über die Planungen für das Kindl Konglomerat mit dem dazugehörigen städtebaulichen Werkstattverfahren. Einen Beitrag zur Geschichte der Warenhauskultur in der Karl-Marx-Straße können Sie in der Sanierungszeitung ebenfalls lesen. Nachfolgend können Sie sich die einzelnen Artikel ansehen und auch herunterladen.
Stand Juli 2021
Planungsendspurt für den Karl-Marx-Platz
Am 24. Oktober 2019 wurden im Rathaus Neukölln die ersten Planungsideen für die Umgestaltung des Karl-Marx-Platzes vorgestellt (siehe auch Artikel im KARLSON VII). Seitdem hat sich Vieles getan. Weiterlesen…
Grußwort
Seit nun schon gut 10 Jahren ist das Gebiet rund um Karl-Marx-Straße und Sonnenallee ein städtebauliches Sanierungsgebiet. Seitdem wurden hier auf Grundlage der Sanierungsziele viele Ideen entwickelt und umgesetzt. Weiterlesen…
Schritt für Schritt
Wer diese Sanierungszeitung in seinem Briefkasten vorfindet, wohnt oder arbeitet wahrscheinlich im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee. Weiterlesen…
Mitwirkung ausdrücklich erwünscht!
Im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee gibt es seit Beginn des Sanierungszeitraums bereits umfassende Formate der Information und Beteiligung. Weiterlesen…
Baufortschritt an der Reuterstraße 10
Seit Sommer 2020 ist zwischen der Karl-Marx-Straße 52 und Reuterstraße 10 das Gelände des ehemaligen Käpt‘n-Blaubär-Spielplatzes und der Jugendeinrichtung Blueberry Inn gesperrt. Weiterlesen…
Kunstbrücke am Wildenbruch
Die historische Toilettenanlage an der Wildenbruchbrücke ist ein skurriler Ort mit einem außergewöhnlichen Charme. Deshalb wird die Anlage, die ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen kann und daher bereits seit längerem dem Verfall preisgegeben ist, derzeit vom Fachbereich Kultur des Bezirksamtes Neukölln zu einem in Berlin einmaligen, experimentellen Kulturort, der „Kunstbrücke am Wildenbruch“, umgebaut. Weiterlesen…
Planungen für das Kindl Konglomerat
Am 14. Juni 2021 startete ein städtebauliches Werkstattverfahren für die ehemaligen Vollguthallen. Im Bereich der bestehenden Halle sind ein (Teil-) Rückbau und eine städtebauliche Neuordnung der Flächen beabsichtigt. Weiterlesen…
Grüne Wohnhöfe
Die Gestaltung und Begrünung von Innenhöfen ist ein festgelegtes vorrangiges Sanierungsziel. Zum einen geht es um die Beseitigung ästhetisch-funktionaler Missstände, womit das Wohnumfeld verbessert werden soll. Weiterlesen…
Rixdorfer Bücherschrank auf dem Alfred-Scholz-Platz
Seit Anfang Mai 2021 steht der Rixdorfer Bücherschrank der Initiative „Berliner Büchertisch“ auf dem Alfred-Scholz-Platz. Weiterlesen…
Neues entsteht
„Ich habe mal irgendwo eine Karikatur gesehen, das moderne Warenhaus als Ventilator, in dessen weitgeöffneten Rachen groß und klein, alt und jung, Männlein und Weiblein verschwand, dessen Saugkraft alle in sich hineinzog“ (Leo Colze, 1908). Weiterlesen…
Umbau Karl-Marx-Straße
Dreh- und Angelpunkt des Umbaus der Karl-Marx-Straße ist seit diesem Jahr der Bereich zwischen Erk- und Flughafenstraße. Weiterlesen…
Baubeginn für die Fahrradstraße Weserstraße
In diesem Jahr beginnt die Baumaßnahme für den weiteren Ausbau der Weserstraße zur Fahrradstraße. Weiterlesen…
Neuwahl der Lenkungsgruppe der A!KMS
Die Lenkungsgruppe ist das Akteursgremium der [Aktion! Karl-Marx-Straße]. In ihr tauschen sich viele verschiedene Akteure der Karl-Marx-Straße zu den zentralen Projekten und Planungen im Gebiet aus. Weiterlesen…
Zusammen für das Zentrum Karl-Marx-Straße
Im BROADWAY #12 – 2020/21 wurde das Thema „Zusammen“ zum Leitgedanken gewählt. Die Corona-Pandemie fordert das Zusammen heraus, ganz besonders auch in Neukölln. Zusammenhalt ist nötiger denn je. Das Magazin betrachtet das „Zusammen“ aus unterschiedlichen Perspektiven, stellt gemeinsam gefundene Strategien vor, schaut auf gemeinschaftliche Projektentwicklungen im Zentrum Karl-Marx-Straße oder auf den Zusammenhalt über religiöse Grenzen hinweg.
Stand November 2020
Zusammen für das Zentrum Karl-Marx-Straße
Die Standorttour: Gemeinsame Einblicke in Projektvorhaben
Eine wichtige Aufgabe des Citymanagements der [Aktion! Karl-Marx-Straße] ist, die Entwicklung des Standorts Karl-Marx-Straße als vielfältiges Bezirkszentrum weiter zu stärken und die unterschiedlichen Akteure dabei miteinander zu vernetzen. In diesem Zusammenhang bietet auch die Standorttour einmal jährlich spannende Einblicke in Projektvorhaben rund um die Karl-Marx-Straße und bringt Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Am 3. September 2020 fand die neunte Ausgabe der Standorttour durch das Bezirkszentrum Neukölln statt. Schwerpunkte waren die Entwicklungen der gemeinwohlorientierten Projekte auf dem ehemaligen KINDL-Areal (Eine-Welt-Zentrum, CRCLR Economy House und Projekt Alltag) sowie der Schlüsselimmobilien rund um den Alfred-Scholz-Platz, wie das Neubauprojekt an der Karl-Marx-Straße 101 oder das Deutsche Chorzentrum an Karl-Marx-Straße 145. Wie die Begehung der Projektvorhaben deutlich machte, ist das Bezirkszentrum von unterschiedlichsten Vorstellungen von Gesellschaft, Arbeit und Kultur geprägt, die in unmittelbarer Nähe zueinander existieren und entstehen. Zum Abschluss wurde zusammen mit Bezirksstadtrat Jochen Biedermann über die Zukunft des Bezirkszentrums diskutiert, welches zunehmend als berlinweiter Kultur- und Arbeitsstandort an Bedeutung gewinnt. Es bleibt spannend, wie sich die Projekte weiterentwickeln und welche neuartigen Entwicklungen die Teilnehmenden bei der Standorttour im nächsten Jahr erwarten.
Kontakt: Citymanagement der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
Richardstr. 5, 12043 Berlin, 030 / 22 19 72 93, cm@aktion-kms.de
Ein Spaziergang mit Gesprächen: Die „Lenkungsgruppe vor Ort“
Am 9. September 2020 begab sich die Lenkungsgruppe der [Aktion! Karl-Marx-Straße] mit ihren zahlreichen Gästen zum vierten Mal auf einen anregenden Themen-Spaziergang durch das Zentrum Karl-Marx-Straße und kam dabei mit sehr unterschiedlichen Akteuren und Initiativen ins Gespräch. Schwerpunkt in diesem Jahr war das Thema „Grüne Räume im Zentrum“. In Begleitung von Bezirksstadtrat Jochen Biedermann und fachlich unterstützt von der Wissenschaftlerin Elena Ferrari wurden grüne Orte im Gebiet aufgesucht, um sich dort über Möglichkeiten der Freiraumgestaltung und Vegetation im dicht bebauten Bereich auszutauschen. Besucht wurden der Comenius-Garten, der Gemeinschaftsgarten „Prachttomate“, der „Vollguter Gemeinschaftsgarten“ sowie der grüne Hinterhof eines Wohnhauses in der Neckarstraße. Weiterhin wurden im Außenbereich des ehemaligen Umspannwerks die Pläne für die dortige Freiraumgestaltung vorgestellt. Den Abschluss bildete der urbane Permakulturgarten des Café Botanico, wo bei einem kleinen Imbiss die Möglichkeit für den informellen Austausch bestand. Auch nächstes Jahr wird sich die „Lenkungsgruppe vor Ort“ mit einem neuen Thema auf den Weg machen. Informationen werden dazu rechtzeitig auf kms-sonne.mmserver.org veröffentlicht. Sie haben Lust, an der Gestaltung der Karl-Marx-Straße und ihrem Umfeld mitzuwirken? Die Lenkungsgruppe der [Aktion! Karl-Marx-Straße] beteiligt sich als Akteursgremium aktiv an Entwicklungsprozessen im Zentrum Karl-Marx-Straße und steht dabei in einem engen Austausch mit Politik und Verwaltung sowie vielen weiteren wichtigen Akteuren im Gebiet.
Gemeinsam und gemeinwohlorientiert – Projektentwicklung mal anders
Im BROADWAY #12 – 2020/21 wurde das Thema „Zusammen“ zum Leitgedanken gewählt. Die Corona-Pandemie fordert das Zusammen heraus, ganz besonders auch in Neukölln. Zusammenhalt ist nötiger denn je. Das Magazin betrachtet das „Zusammen“ aus unterschiedlichen Perspektiven, stellt gemeinsam gefundene Strategien vor, schaut auf gemeinschaftliche Projektentwicklungen im Zentrum Karl-Marx-Straße oder auf den Zusammenhalt über religiöse Grenzen hinweg.
Stand November 2020
Gemeinsam und gemeinwohlorientiert – Projektentwicklung mal anders
Auf dem Kindl-Gelände sind derzeit viele Baustellen gleichzeitig im Gange: neben der Erweiterung des „Berlin Global Village“ sind dies auch die Projekte ALLTAG und CRCLR der TRNSFRM Genossenschaft eG. Ungewöhnlich sind neben der Form der Projektentwicklung auch die künftigen Nutzungen, die interessante Impulse im Zentrum Neuköllns setzen werden. Für den BROADWAY sprachen wir mit Simon Lee, Mitglied der TRNSFRM Genossenschaft und gleichzeitig künftiger Nutzer des CRCLR Hauses.
Simon Lee, künftiger Vermieter und Mieter des CRCLR House,
auf der Baustelle im Inneren des Bestandsgebäudes, © Bergsee, blau
Simon Lee, der eigentlich Mathematik studiert hat, übernimmt heute vielfältige Aufgaben bei der Umsetzung der Projekte. Er ist künftig Vermieter und Mieter zugleich und gestaltet und verwaltet mit der Projektentwicklung seine eigene Zukunft mit. Eine wichtige Voraussetzung für die gemeinschaftliche und gemeinwohlorientierte Projektentwicklung schuf die Eigentümerin großer Teile des ehemaligen Brauerei-Geländes zwischen Rollberg- und Neckarstraße: die Stiftung Edith Maryon bzw. ihre Tochtergesellschaft, die Terra Libra Immobilien GmbH. Die Stiftung kaufte die Grundstücke 2015 und erteilte den ausgewählten Projektinitiativen im sogenannten Erbbaurecht das Recht, auf ihrem Boden zu bauen und dort für 100 Jahre fortzubestehen, ohne den Boden dabei zu verkaufen. Voraussetzung war, dass die Initiativen nicht gewinnorientiert wirtschaften, sondern mit ihren Projekten zum Gemeinwohl der Menschen der Stadt beitragen.
Die ersten Ideen für die Projekte CRCLR Haus und ALLTAG entwickelte eine Gruppe unterschiedlichster Menschen, unter ihnen Künstlerinnen und Künstler, Architekten und viele Quereinsteigende. Als die Pläne für die Gebäude konkretisiert werden sollten, entschieden sich die Projektbeteiligten für die Gründung der TRNSFRM Genossenschaft, um den Besitz der Gebäude und die Verantwortung für den Bau an eine gesonderte Organisation abzugeben, aber auch, um erlerntes Wissen zu sammeln und für weitere Projekte zur Verfügung stellen zu können.
Visualisierung des Projekts CRCLR House, © TRNSFRM eG
Das CRCLR-Haus
Das CRCLR Haus beruht auf der Idee des zirkulären Wirtschaftens. Die unterschiedlichen Nutzungen des Gebäudes – Wohnungen, Gewerbe und Werkstätten – sollen künftig so vernetzt sein, dass die Abfälle der einen zu Wertstoffen der anderen werden. Auch die Baustelle wird nicht konventionell betrieben. Hier gilt es, mit kostengünstigen und nachhaltigen Materialien zu bauen, es wird recycelt und experimentiert. Im November 2020 startet die kooperative Baustelle, bei der die Bauarbeiten von zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern sowie Förderern des Projekts übernommen werden. Das gemeinschaftliche Arbeiten stärkt dabei die Beziehungen der künftigen Nutzergruppen, die auch vom Wissensaustausch profitieren. Nicht zuletzt ermöglicht die kooperative Baustelle auch beträchtliche Kosteneinsparungen. Die längere Bauzeit wird dafür gerne in Kauf genommen. Alle Beteiligten erhalten während der gesamten Baustellenphase das gleiche Grundgehalt, das aus den Einsparungen von Logistik und Materialien berechnet wird. Auch für Kinderbetreuung ist vor Ort gesorgt und es besteht die Möglichkeit, gemeinsam zu kochen.
Das Projekt ALLTAG
Im ALLTAG sollen sowohl temporäre Wohnformen als auch Platz für Gewerbe geschaffen werden. Insgesamt neun Organisationen tragen und verwalten das Projekt, dessen Schwerpunkt auf der Beherbergung sozialer Gruppen mit speziellen Schutzbedürfnissen liegt. Dies betrifft beispielweise Menschen in der Rehabilitationsphase, vor Gewalt geflüchtete Mädchen und Frauen oder Betroffene homophober Übergriffe. Die Grundrisse des Gebäudes sind dabei so konzipiert, dass die hier wohnenden Menschen gleichzeitig selbstbestimmt und in Gemeinschaft zusammenleben können. Das Erdgeschoss mit sozialen, kulturellen und gewerblichen Nutzungen wird Gelegenheit bieten, sich in die Gemeinschaft einzubringen und neue Beziehungen zur Nachbarschaft zu knüpfen. Leitgedanke ist also, ein sozial-gerechteres, vielfältiges städtisches Leben zu fördern, indem den Anwohnenden die Teilhabe am sozialen, kulturellen und Arbeitsleben erleichtert und damit auch ihre Integration gefördert wird.
Besonders wichtig ist dem gebürtigen Neuköllner Simon Lee, dass die Projekte der TRNSFRM Genossenschaft in der Nachbarschaft verankert sind und akzeptiert werden. Nicht alle Nachbarn waren dem Vorhaben von Anfang an wohl gesonnen. Besonders mit der lokalen Jugend, für die das Kindl-Gelände ein beliebter Aufenthaltsort ist, erhofft sich Simon Lee künftig ein friedliches Miteinander und arbeitet dafür schon an einigen Ideen. Er möchte sich auch dieser Herausforderung stellen, denn die Stadt muss Platz für alle bieten.
Jasmina McKenna, raumscript mit Dank an Simon Lee von der TRNSFRM eG
Berlin Global Village: Zusammen eine große Wirkung haben
Im BROADWAY #12 – 2020/21 wurde das Thema „Zusammen“ zum Leitgedanken gewählt. Die Corona-Pandemie fordert das Zusammen heraus, ganz besonders auch in Neukölln. Zusammenhalt ist nötiger denn je. Das Magazin betrachtet das „Zusammen“ aus unterschiedlichen Perspektiven, stellt gemeinsam gefundene Strategien vor, schaut auf gemeinschaftliche Projektentwicklungen im Zentrum Karl-Marx-Straße oder auf den Zusammenhalt über religiöse Grenzen hinweg.
Stand November 2020
Berlin Global Village: Zusammen eine große Wirkung haben
Auf dem ehemaligen Kindl-Gelände entsteht zurzeit der Neubau für einen einzigartigen Zusammenschluss von rund 40 entwicklungspolitischen und migrantischen Nichtregierungsorganisationen: Im Eine-Welt-Zentrum arbeiten und treffen sich Menschen aus aller Welt, um von hier aus ihre Arbeit in einem großen Netzwerk voranzutreiben. Wir trafen uns mit Armin Massing, Geschäftsführer des „Berlin Global Village“ Trägervereins, und sprachen mit ihm über die Ziele und das neue Gebäude sowie den Standort Neukölln.
Im September 2019 wurde die Grundsteinlegung gefeiert,
Ende 2020 wird der Neubau bereits fertig gestellt. © Sedat Mehder
Armin Massing führt uns nach der Begrüßung in die Küche in der zweiten Etage des alten Backsteingebäudes Am Sudhaus 2, wo schon heute um die 13 Nicht-Regierungsorganisationen, Verbände und Vereine ihren Sitz haben. Armin Massing wechselt freudig ein paar Worte mit einer Frau, die gerade Tee kocht. Die Küche, sagt er, ist ein sehr wichtiger Ort. Sie ermöglicht spontane Treffen und einen informellen Austausch zwischen den vielen unterschiedlichen Menschen und Organisationen. Derzeit bietet die kleine Küche allerdings keinen Platz zum Verweilen. Doch das soll sich ändern. Im Erdgeschoss erklärt uns Armin Massing, was es bedeutet, entwicklungspolitische Arbeit zu leisten. Es geht um große Themen, wie die Beziehungen zwischen dem globalen Norden und Süden: Dekolonialisierung, Migration, nachhaltige Entwicklung nach den Richtlinien der weltweiten Ziele für Nachhaltigkeit sowie die Bedeutung des globalen Lernens. Viele der Themen fielen noch vor wenigen Jahren unter den Begriff Entwicklungshilfe. Heute ist Entwicklungszusammenarbeit der angemessene Ausdruck. Er zeigt, dass kritisches Hinterfragen und Evaluation in der aktuellen Arbeit zum Alltag gehören und einen ständigen Lernprozess vorantreiben.
Das Global Village ist für viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter hier eine Lebensaufgabe geworden. Das Zentrum ist in Deutschland der Hauptsitz der Nichtregierungsorganisationen mit Schwerpunkt entwicklungspolitischer Arbeit und könnte künftig auch europaweit eine besondere Rolle spielen. Es hat viele Jahre viel Schweiß und Einsatz gekostet, Unterstützung von Seiten der Politik zu gewinnen und Fördermittel zu erhalten, um das Projekt auf die Beine zu stellen. Ein solches Projekt auch an anderer Stelle aufzubauen, wäre wahrscheinlich nur mit einem großem Aufwand möglich – und mit ein bisschen Glück. Denn das Global Village steht mitten im belebten Neukölln auf einem Grundstück der Terra Libra GmbH, nach deren Philosophie nur gemeinwohlorientierte Projektinitiativen Pächter des Bodens werden können. So bietet auch die Nachbarschaft, die ebenfalls auf dem Boden der Terra Libra GmbH im Erbbaurecht baut, eine besondere, inspirierende Kulisse.
Visualisierung des Erweiterungsbaus Berlin Global Village, © Anne Lampen Architekten GmbH
Als wir den Rohbau des neuen Gebäudes betreten, erklärt Armin Massing, dass das Global Village über das Kindl-Gelände hinaus eine Verbindung in den Kiez schaffen möchte. Denn Entwicklungspolitik wirkt sich auch auf Neukölln aus und soll auf allen Ebenen von lokal zu global im neuen Zentrum mitgedacht werden. Dabei wird das Erdgeschoss des Neubaus mit seinen hohen Decken und den vielen öffentlichen Räumen und transparenten Fassaden eine wichtige Rolle spielen. Geplant ist zum Beispiel ein großer Ausstellungsraum für „glokale“ Kunst, der an den öffentlichen Außenraum anschließt. Ein Fair-Trade-Café stellt nicht nur das horizontale Bindeglied zwischen Alt- und Neubau, sondern auch ein vertikales Verknüpfungselement dar: Wer im Erdgeschoss aus dem Aufzug steigt, steht direkt im Café, dem sozialen Mittelpunkt des Hauses. Im hinteren, intimeren Abschnitt ist eine Ludothek, ein Spielraum mit einer Sammlung von Spielzeugen aus der ganzen Welt, geplant. Deren Inneres wird bei Nacht warmes Licht durch die milchig-transparente Fassade nach außen werfen.
Auch die oberen Geschosse sind aufmerksam durchdacht. In Zusammenarbeit mit den ansässigen Vereinen sowie dem Architekturbüro Anne Lampen Architekten wurden die Grundrisse konzipiert. Jede Etage wird über eine Gemeinschaftsküche, eine Großraumbürofläche sowie kleinere Räume verfügen, die den unterschiedlichen Anforderungen der Initiativen gerecht werden und getauscht werden können. Dabei sind die Vereine nach drei thematischen Schwerpunkten den Etagen zugeordnet worden: Fairer Handel, globales Lernen und migrantisch-diasporische Arbeit. Für alle Beteiligten ist die konsequente Durchsetzung der Barrierefreiheit sehr wichtig, auch wenn dies zu höheren Mietkosten führt. Das Obergeschoss mit großzügiger Dachterrasse soll für alle Initiativen als Ort der Zusammenkunft zugänglich sein und Platz für Veranstaltungen bieten. Im „Raum der Stille“ kann künftig Kraft getankt oder gebetet werden. Von hier oben aus hat man einen weiten Blick auf die Dächer der Stadt. Was häufig nur einigen Wohlhabenden vorbehalten ist, wird im Global Village Gemeingut sein. Auch hiermit, so Armin Massing, will das Global Village ein Zeichen setzen.
Jasmina McKenna, raumscript, mit Dank an Armin Massing von Berlin Global Village e.V.
Berlin Global Village
Das Land Berlin hat das Vorhaben 2018 mit einer Anschubfinanzierung in Höhe von 3 Millionen Euro an die Berlin Global Village gGmbH ermöglicht. Zusätzlich unterstützt der Bund mit 1,8 Millionen Euro. Über die Hälfte, 7,9 Millionen Euro, erbringen die Nichtregierungsorganisationen selbst langfristig über einen Kredit.
Von der Kunst, aus Vielfalt ein Mosaik zu schaffen
Im BROADWAY #12 – 2020/21 wurde das Thema „Zusammen“ zum Leitgedanken gewählt. Die Corona-Pandemie fordert das Zusammen heraus, ganz besonders auch in Neukölln. Zusammenhalt ist nötiger denn je. Das Magazin betrachtet das „Zusammen“ aus unterschiedlichen Perspektiven, stellt gemeinsam gefundene Strategien vor, schaut auf gemeinschaftliche Projektentwicklungen im Zentrum Karl-Marx-Straße oder auf den Zusammenhalt über religiöse Grenzen hinweg.
Stand November 2020
Von der Kunst, aus Vielfalt ein Mosaik zu schaffen
Die Zusammenarbeit zwischen den Religionen in Neukölln war das Thema im Gespräch mit Pfarrer Dr. Reinhard Kees und Imam Mohamed Taha Sabri. Schon lange arbeiten die beiden Geistlichen in einem guten Austausch zusammen, der viele Menschen in Neukölln zusammenbringt.
Pfarrer Dr. Kees (links) und Imam Sabri (rechts) im gemeinsamen Gespräch über das gegenseitige Kennenlernen, © Bergsee, blau
Was waren die Anfänge Ihrer interreligiösen Zusammenarbeit?
Pfarrer Dr. Kees: Meine Vorgängerin Elisabeth Kruse hat die Verbindung der evangelischen Gemeinde Genezareth mit der Neuköllner Begegnungsstätte und der Dar-as-Salam-Moschee aufgebaut und etabliert.
Imam Sabri: Ich bin 2006 arbeitsbedingt von Bremen nach Berlin gezogen. Anfangs gab es noch keine interreligiösen Zusammenkünfte. Es war ein Glück, dass ich damals Elisabeth Kruse getroffen habe. Nach und nach ist ein gemeinsames Netzwerk entstanden.
Wie sieht die interreligiöse Zusammenarbeit aus?
Pfarrer Dr. Kees: Zunächst einmal besuchen wir uns gegenseitig zu den großen Festen. Außerdem gibt es die interreligiösen Jahresempfänge in der Neuköllner Begegnungsstätte und weitere Veranstaltungen, die über den Kiez und manchmal sogar über den Stadtbezirk hinausweisen. Wir arbeiten aber zum Beispiel auch viel mit Schulklassen zusammen, die sowohl die Kirche als auch die Moschee und die Synagoge besuchen wollen. Die relativ kleine jüdische Gemeinschaft ist mit Rabbi Hammel meistens dabei.
Das Zusammenfinden und die Zusammenarbeit ist also offensichtlich zunächst durch persönliche Beziehungen entstanden. Gab es auch Impulse aus den Gemeinden?
Imam Sabri: Die Leute in meiner Gemeinschaft sind meist einfache Leute und haben in der Regel kaum Berührungspunkte mit Menschen anderer Religionen. In Tunis z.B. nimmt man vielleicht das Glockenläuten der großen Kathedrale wahr, aber man geht nicht in die Kathedrale hinein. Viele Leute, die nach Deutschland gekommen sind, waren unsicher, ob sie eine Kirche oder Synagoge überhaupt betreten dürfen. Inzwischen ist es in meiner Gemeinde üblich, dass einfache Leute auch in eine Kirche gehen. Dies ist ein großer Fortschritt.
Pfarrer Dr. Kees: Wir hatten in der Genezareth-Kirche eine Ausstellung von Glaubenstexten verschiedener Religionen, geschrieben in arabischer Kalligrafie. Diese zeigte den Besuchern, wie viel gemeinsam ist. Auf der einen Seite die erste Sure, die jeder Muslim mehrfach am Tag betet, auf der anderen Seite das Vater Unser – darunter jeweils das Wort Amen, das so viel heißt wie „so soll es sein“. Die Ausstellung vermittelte, dass wir nicht dasselbe glauben, aber wir an denselben glauben. Das ist nicht für alle Christen und nicht für alle Muslime und Juden Konsens, für uns aber ist es Konsens.
Wie sehen gemeinsame Interreligiöse Veranstaltungen aus?
Pfarrer Dr. Kees: Wir rufen zum Beispiel zu interreligiösen Gebeten auf, die auf Gemeinsamkeiten in den Texten beruhen. Bei manchen Veranstaltungen geht es aber auch um den reinen Informationsaustausch.
Imam Sabri: Beim interreligiösen Dialog geht es nicht darum, andere von deinem Glauben und deiner Glaubenspraxis zu überzeugen, sondern um das gegenseitige Kennenlernen. Dadurch lösen sich die Grenzen auf, die uns manchmal davon abhalten, das Herz füreinander zu öffnen. Er hat seine Farbe, ich habe meine Farbe – niemand verlangt, dass der andere seine Farbe aufgibt. Aber ein buntes Mosaik mit unseren vielen Farben zu schaffen, das ist die Kunst der Vielfältigkeit. Unsere Verbindung ist, dass wir alle Gottes Schöpfung sind.
Wie wurde die interreligiöse Zusammenarbeit über die Coronazeit hinweg aufrechterhalten?
Pfarrer Dr. Kees: Während des Lockdowns hatten wir zwei besonders symbolträchtige Veranstaltungen. Die erste war das gemeinsame Glockenläuten und der gleichzeitige Ausruf des Az¯an (islamischer Gebetsruf, Anm. d. Red.) bei der Neuköllner Begegnungsstätte. Leider wurden Abstands- und Hygieneregelungen nicht eingehalten und die Veranstaltung musste abgebrochen werden. Und es gibt leider immer auch diejenigen, die solche Veranstaltungen für politische Zwecke instrumentalisieren.
Imam Sabri: Aber die Bilder, die manche Nachrichten in die Welt sandten, waren unbezahlbar. Bilder von Muslimen in einer Kirche, ein Pfarrer neben einem Imam und das gleichzeitige Läuten der Glocken mit dem Az¯an.
Pfarrer Dr. Kees: Das zweite schöne Symbol war der erste Gottesdienst in der Coronazeit, der in der Kaiser-Wilhelm -Gedächtniskirche stattgefunden hat. Imam Sabri war auch dabei und hat in der Kirche gebetet.
Wie wird mit kritischen Stimmen gegenüber der interreligiösen Zusammenarbeit umgegangen?
Pfarrer Dr. Kees: Es stimmt, unsere enge Zusammenarbeit wird nicht überall positiv aufgenommen. Unser Argument ist, dass wir mit denjenigen Menschen zusammenarbeiten, mit denen wir diese gemeinsame Grundlage haben: die Menschenrechte, der Glaube an einen gemeinsamen Gott und die Nächstenliebe. Natürlich prüfen wir auch, mit wem wir zusammenarbeiten können.
Imam Sabri: Wir müssen immer wieder neu Integrationsarbeit auch innerhalb der Gemeinden leisten, besonders dann, wenn Menschen neu hinzustoßen. Zum Kulturschock, die ein Migrant erfährt, kommt zusätzlich die Umstellung auf unsere Philosophie der interkulturellen Zusammenarbeit. Das ist für viele nicht einfach. Ich habe auch erlebt, dass sich junge Menschen, die in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, komplett verschließen. Sie nutzen Religion als Rebellion, weil sie vom deutschen System enttäuscht sind oder vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht haben. Dass mittlerweile viele junge und alte Leute zu den interreligiösen Dialogen kommen, ist ein großer Fortschritt. Man muss sich für die Vielfalt der Gesellschaft öffnen, denn je vielfältiger sie ist, desto besser kann sie mit gesellschaftlichen Herausforderungen umgehen.
Pfarrer Kees: Auch wenn wir die ideologisch Engeren nicht erreichen können, sehen wir einen immensen Lernprozess und eine Veränderung in der Denkweise vieler Menschen.
Interview: Jasmina McKenna, Tania Salas, raumscript
Dr. Reinhard Kees ist Pfarrer in der evangelischen Genezareth Kirche Neukölln. Seit August 2017 leitet er mit einer halben Pfarrstelle das Interkulturelle Zentrum Genezareth im Pfarrsprengel Nord-West Neukölln. Mit der anderen Hälfte der Pfarrstelle pflegt er seit September 2017 auch für den Kirchenkreis die interreligiösen und interkulturellen Beziehungen im gesamten Bezirk Neukölln.
Imam Mohamed Taha Sabri kam 1989 von Tunesien nach Deutschland und ist seit 2007 Gemeindevorstehender der Dar-as-Salam Moschee an der Flughafenstraße in Berlin, Neukölln. Das Gebetshaus wird durch einen Verein, der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) e.V., organisiert und ist eine der meistbesuchten Moscheegemeinden in Berlin. 2016 erhielt er vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller den Verdienstorden des Landes Berlin für seinen außerordentlichen Einsatz im interreligiösen Dialog.
Ansprechpartner
Bezirksamt Neukölln
Stadtentwicklungsamt
Fachbereich Stadtplanung
Karl-Marx-Straße 83, 12040 Berlin
Tel. 030 – 90 239 2153
stadtplanung(at)bezirksamt-neukoelln.de
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen IV C 32
Anke Heutling
Württembergische Straße 6-7, 10707 Berlin
Tel.: 030 – 90 173 4914
anke.heutling@senstadt.berlin.de
BSG Brandenburgische
Stadterneuerungsgesellschaft mbH
Sanierungsbeauftragte des Landes Berlin
Karl-Marx-Straße 117 , 12043 Berlin
Tel.: 030 – 685 987 71
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Lenkungsgruppe
der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
lenkungsgruppe(at)aktion-kms.de
Citymanagement
der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
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