Der KARLON #4 – 2017 legt den Schwerpunkt auf den Prozess der Sanierung. Es werden grundlegende Abläufe erläutert und Einblicke in den Umsetzungsstand der aktuellen Projekte gegeben.

Pauschale Lösungen gibt es nicht

Wohnungsmodernisierung und Neubau – Eigentümervertreterin und Mietervertreter im Gesprächt

Der Druck auf den Wohnungsmarkt wird durch den anhaltenden Zuzug nach Neukölln größer. Auch dies muss die Fortschreibung der Sanierungsziele besonders beachten. Darüber sprachen für den KARLSON Horst Evertz und Stephanie Otto mit Annette Beccard vom Eigentümerverband Haus & Grund und Willi Laumann vom Berliner Mieterverein.

Willi Laumann und Annette Beccard

Willi Laumann und Annette Beccard

KS: Neukölln verändert sich. Wie ist Ihre Sicht auf die Entwicklungen im Sanierungsgebiet?

Laumann: Ich freue mich, dass die aktuelle Diskussion darauf Rücksicht nimmt, dass im Zentrum Karl-Marx-Straße im Schwerpunkt nicht nur Handel und Gewerbe vorhanden ist, sondern dass hier das Wohnen als wichtiger Bestandteil anerkannt und gesichert werden soll. Gewerbe – auch kreative Nutzungen – sollten das Wohnen nicht verdrängen.

Beccard: Ursprünglich sollte mit dem Sanierungsprozess ja auch der Karl-Marx-Straße als Zentrum wieder mehr Ausstrahlung gegeben werden. Den Wohnraum zu schützen, ist richtig. Aber es muss – auch im Hinblick auf den vermehrten Zuzug – eine Entwicklung im Zentrum und das vielfältige Leben gewährleistet werden.

KS: Die Sanierungsziele werden auch den Milieuschutz integrieren, der bereits jetzt flächendeckend im Sanierungsgebiet gilt. Wo überschneiden sich die Interessen, wo gibt es Konflikte?

Beccard: Ich sehe einen Widerspruch, der mit der Übernahme der Ziele der Milieuschutzverordnung einhergeht. Ziel des Milieuschutzes ist es ja, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu schützen. Die Sanierung will dagegen das Gebiet erneuern und verändern. Schon aufgrund der wechselnden Bedürfnisse, die im Laufe eines Menschenlebens eintreten, muss Wandel möglich sein. Die Infrastruktur und Bewohnerschaft müssen sich verändern und zusammenpassen.

Laumann: Wir müssen aufpassen, dass wir die Dinge auseinanderhalten. Grundsätzlich ist der Milieuschutz kein mietrechtliches Verfahren. Durch die Milieuschutzsatzung sollen teils absurde Modernisierungen, d. h. weit über den Bedarf hinaus, und damit verbundene drastische Erhöhungen der Mieten verhindert werden. Das greift nicht in den Bevölkerungswechsel ein. Die Stadt sollte alle Möglichkeiten nutzen, die sie hat, um extreme Mietsteigerungen zu verhindern.

Beccard: Andererseits sind es meist sehr normale Dinge, die sich Eigentümer*innen in einem Milieuschutzgebiet genehmigen lassen müssen. Da herrscht ein großes Misstrauen gegenüber den meist kleinen privaten Eigentümern*innen.

Laumann: Stimmt, es sind die großen Eigentümer*innen wie Immobilienfonds, die hier die Chance sehen, viel Geld zu verdienen. Es kommt bei Modernisierungsvorhaben auf einen Handlungsspielraum bei der Genehmigung von Maßnahmen an. Z. B. sollte in Bezug auf die energetische Sanierung unabhängig von Miethöhen beraten werden können, was sich amortisiert und was nicht.

KS: Mit der Milieuschutzverordnung werden Maßnahmen nicht genehmigt, die den Standard der Energie-Einspar-Verordnung (EnEV) überschreiten. Also muss die gutachterliche Betrachtung des Vorhabens am Anfang stehen. Übertragen auf das Sanierungsrecht soll die Wirtschaftlichkeit in den Mittelpunkt gestellt werden.

Beccard: Jeder, der eine Modernisierung selbst finanzieren muss, muss rechnen, ob es sich für ihn rentiert. Für die kleinen Eigentümer*innen steht immer die Wirtschaftlichkeit im Mittelpunkt.

Laumann: Bei Sanierungen aus städtebaulichen Gründen müsste trotz EnEV zugelassen werden, dass z. B. eine Stuckfassade verputzt werden kann, ohne sie gleichzeitig dämmen zu müssen. Z. B. könnte dann nur auf der Hofseite gedämmt werden, um die Energieeffizienz zu verbessern. Aufgrund des geringeren Aufwands würde dann auch die elfprozentige Umlage auf die Miete geringer.

KS: Ein großes Thema stellt im Sanierungsgebiet zurzeit die Nachverdichtung der Grundstücke dar. Dies wird in einem der dichtesten bebauten Bereiche der Stadt durchaus kontrovers gesehen.

Laumann: Die Belange der Bewohner*innen sollten dabei beachtet werden. Nachverdichtung z. B. durch Dachgeschoss-
ausbauten sollte also mit der Sicherung der grünen Qualitäten („Biotopflächenfaktor“) auf den Höfen einhergehen.

Beccard: Da für die zusätzlich vorgeschriebenen Fahrradstellflächen auch noch Platz benötigt wird, kann es sein, dass als Folge eines Dachgeschossausbaus im Erdgeschoss Wohnraum wegfällt. Das würde heißen, man baut zwei Wohnungen neu, eine fällt im schlechtesten Fall aber weg – und dies ist wahrscheinlich sogar noch die günstigste. Diesen Kompromiss würde ich nicht mittragen wollen.

Laumann: Hier sind natürlich kreative Lösungen durch die Architekten gefragt.

KS: Gerade im Sanierungsgebietsteil Sonnenallee wurde festgestellt, dass viele Handwerker*innen und Dienstleistungen verdrängt werden. Zur Sicherung der Grundversorgung soll die Umwandlung von Gewerbeflächen z. B. in Wohn-Lofts verhindert werden. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Laumann: Ich bin für einen guten und verträglichen Mix von Wohnen und Gewerbe. Im Einzelfall würde meine Entscheidung davon abhängen, ob das Gewerbe mit dem Wohnen harmoniert oder störend ist. Ich bin also für den Erhalt des Tischlers oder der Kita, aber eher gegen einen Club.

Beccard: Ich finde auch, dass man diesbezüglich mit pauschalen Festlegungen nicht weiterkommt. Grundsätzlich sollte kleineres Gewerbe und damit der Nutzungsmix geschützt werden. Aber wenn es Konflikte gibt, wäre es nicht richtig, Anträge grundsätzlich negativ zu bescheiden. Es muss ein Hebel gefunden werden, wie „normales“ Wohnen in diesem Gebiet ermöglicht und gleichzeitig der Kiez lebenswert für alle gestaltet werden kann.

KS: Wir danken für dieses Gespräch.

Interview: Stephanie Otto, Horst Evertz