Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #6 – 2019, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.

Stand August 2019

Sanierung kontrovers

Wie geht es weiter am Weigandufer?

Montag, 24. Juni 2019 – ein denkwürdiger Abend im Çigli­Zimmer, 1. Stock, Rathaus Neukölln. Das Beteiligungsgremium Sonnenallee hat zu seiner allmonatlichen Sitzung geladen. Der Veranstaltungsort sowie die große Anzahl und die Zusammensetzung der Gäste sind ungewöhnlich. Die Stimmung ist angespannt.

Die Mitglieder des Beteiligungsgremiums, Fachleute aus der Verwaltung, die Sanierungsbeauftragte BSG mbH und circa 30 Bürger*innen wollen vor allem über die Umsetzung der Planungen am Weigandufer reden, die Planung erklären oder ihrem Ärger Luft machen. Zu Gast ist auch Bezirksbürgermeister Martin Hikel, der gleichzeitig als Leiter der Abteilung Finanzen und Wirtschaft dem Straßen- und Grünflächenamt vorsteht.

Was ist passiert?

Die Planungen für das Weigandufer sind seit dem Jahr 2016 auf dem Weg. Eine erste Begehung zur Bestandsaufnahme des Weigandufers mit dem Beteiligungsgremium fand bereits 2015 statt (siehe Artikel im KARLSON Nr. 3). Die Planungen folgen dem Sanierungsziel im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee, die öffentliche Infrastruktur, also Straßen, Plätze oder Grünflächen, für die Bevölkerung im Gebiet zu verbessern. Konkret heißt das Barrierefreiheit, Fahrradgerechtigkeit und Verkehrssicherheit. Alle Menschen sollen sicher und einfach die öffentliche Infrastruktur in Neukölln nutzen können. Eine wichtige Maßnahme ist dabei die Neugestaltung der Uferzone zwischen Lohmühlen- und Weichselplatz und entlang des Weigandufers bis zur Innstraße. Die Umgestaltung des Lohmühlen- und Weichselplatzes und der Ausbau der Uferpromenade in diesem Bereich wurden 2017 abgeschlossen. Bei dieser Maßnahme wurden viele Anregungen des Beteiligungsgremiums und der Anwohner*innen in einer konstruktiven Atmosphäre diskutiert und flossen in die Planung ein (siehe Artikel im KARLSON Nr. 2). Die Fortsetzung der Baumaßnahmen am Weigandufer ist hingegen sehr konfliktreich.

Die lange Dauer von den ersten Planungen bis zur Umsetzung einer Baumaßnahme stellt ein generelles Problem dar und trägt auch am Weigandufer zum Konflikt bei. Rechnet man die erste Bestandsaufnahme am Weigandufer mit ein, sind seitdem knapp vier Jahre vergangen. Zum Weigandufer fanden im Juli 2016 und Dezember 2017 öffentliche Erörterungsveranstaltungen statt. Zudem gab es Sitzungen des Beteiligungsgremiums Sonnenallee, in denen unter anderem der Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes die Planungen und Baumaßnahmen erklärte. Viele der aufgebrachten Anwohner*innen und Gäste des Beteiligungsgremiums haben von diesen Veranstaltungen und deren Ergebnissen noch nie etwas gehört und kennen die Diskussionen, die bereits geführt wurden, nicht. 

Proteste von Betroffenen treten oftmals erst auf, wenn die Folgen der Planung konkret im Raum sichtbar werden. So auch am Weigandufer zwischen Wildenbruchstraße und Innstraße. Hier wurden Ende Februar Büsche und Sträucher gerodet, um die Neugestaltung des Uferwegs entsprechend den Zielen der Planung ermöglichen zu können. Dazu gehört, dass der Uferweg verbreitert und barrierefrei gestaltet werden kann. Zudem sollen nicht einsehbare Räume reduziert und der Uferbezug des Weges gestärkt werden (siehe auch Artikel im KARLSON Nr. 3). Viele der anwesenden Anwohner*innen sind von den durchgeführten Rodungen enttäuscht. Zahlreiche Protestbriefe erreichten das Bezirksamt. Unter dem Eindruck der weltweiten „Fridays for Future“-Bewegung werden die Rodungen seitens einiger Bürger*innen als rückwärtsgewandt eingeschätzt: das Mikroklima würde geschädigt, das Bienensterben forciert und der ganze Bereich am Weigandufer gestalterisch abgewertet. Es wird zudem gar befürchtet, dass hier statt eines blühenden Grünstreifens eine „Betonwüste“ entstehe. Viele können die Gründe für die Rodungen nicht nachvollziehen.

Tatsächlich gab es seit der Beteiligungsphase Planungsänderungen. Eine komplette Rodung der Sträucher war zunächst nicht vorgesehen, sondern lediglich eine Reduzierung der Gehölze (siehe Planskizze im KARLSON Nr. 4). Dass nun die gesamten Sträucher am Uferweg gerodet werden müssen, wurde erst klar, nachdem die gesetzlichen Anforderungen für die Versickerung des Regenwassers bzw. die Entwässerungsbestimmungen des Landes Berlin verschärft wurden (siehe auch Erläuterung im untenstehenden Kasten). Die geforderte Regenwasserbewirtschaftung wird am Weigandufer über sogenannte Muldenflächen geschehen. Die bestehenden Sträucher verhindern die vorgeschriebene Entwässerung der neuen größeren Wegeflächen. Der Verlust der Vegetation, so zeigte die Veranstaltung, scheint jedoch für die meisten der Anwesenden ein zu hoher Preis zu sein. Für den letzten Bauabschnitt, der ab Herbst 2019 zwischen Fulda- und Wildenbruchstraße umgesetzt werden soll, sollten nach ihrer Ansicht noch einmal Alternativen zur Rodung geprüft werden. Aus Sicht der planenden Verwaltung ist der Wunsch, viel von der bestehenden Vegetation zu erhalten, nachvollziehbar. Auf das Ziel der Erneuerung der Uferpromenade und die barrierearme Gestaltung der Uferwege, die Bestandteil des „Inneren Parkrings“ sind, der zu den „20 grünen Hauptwegen“ in Berlin gehört, müsste dann aber verzichtet werden. Eine solche Lösung kann deshalb die Fachverwaltung, die den gesetzlichen Auftrag hat, unterschiedliche Belange und Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen, nicht mittragen.

Weigandufer Querschnitt

Querschnitt zukünftige Gestaltung Weigandufer zwischen Wildenbruch- und Innstraße

Wie geht es weiter?

Die Verantwortlichen im Bezirk versuchen nun, den Anliegen der Bürger*innen entgegenzukommen und zumindest die Neupflanzungen zu intensivieren. Wenn auch nicht die Anforderungen an die Entwässerung der Wege verändert werden können, soll doch da, wo es möglich ist, ein Ausgleich für die zu rodenden Sträucher geschaffen werden. Für diese Abendveranstaltung des Beteiligungsgremiums hat das Straßen- und Grünflächenamt daher neue Vorschläge für den Abschnitt zwischen Fulda- und Wildenbruchstraße entwickelt  (siehe dazu auch Interview mit Bezirksbürgermeister Martin Hikel). 

Die Vorstellung des Konzepts für intensivere Neupflanzungen mit Sträuchern und eine konstruktive Diskussion darüber gelang jedoch nicht. Die Ausführungen von Bürgermeister Hikel und den Mitarbeiter*innen des Straßen- und Grünflächenamtes wurden immer wieder unterbrochen. Bewusst falsche Darstellungen und Zusammenfassungen verhinderten eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorschlägen. 

Herr Hikel bot an, bei Bedarf die Sitzung des Beteiligungsgremiums im August erneut zu besuchen, um das überarbeitete Konzept nochmals vorzustellen und inhaltlich zu diskutieren.

Stephanie Otto

Problemfall Regenwasserversickerung

Bei der Baumaßnahme Weigandufer müssen das „Berliner Wassergesetz“, die Richtlinie zur „Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin“ und die Klima- und Umweltziele bei der Entwässerung (SenUVK) beachtet werden. Demnach muss das anfallende Regenwasser auf dem Grundstück des Bauvorhabens (hier der Gehweg am Schifffahrtskanal) auf natürliche Weise abgeführt werden. Das Niederschlagswasser darf nicht in die bestehende Kanalisation eingeleitet werden – und aufgrund des Gewässerschutzes auch nicht in den Neuköllner Schifffahrtskanal. Somit bleibt am Weigandufer nur die Versickerung an Ort und Stelle. Hierzu ist der Bau einer Versickerungsmulde notwendig. Diese muss auch eine Reinigungsfunktion besitzen, damit kein belastetes Wasser ins Grundwasser gelangt. Die Filterfunktion muss eine belebte Bodenzone (unbelasteter Oberboden) übernehmen. Aus diesem Grund muss am Weigandufer der Boden ausgetauscht werden. Dies führt wiederum dazu, dass die Bestandssträucher nicht erhalten werden können.

Interview mit Bezirksbürgermeister Martin Hikel

KS: Herr Hikel, wie bewerten Sie die Diskussion zu den Planungen am Weigandufer?

Hikel: Ich nehme die Reaktionen der Anwohner*innen sehr ernst. Von Anfang an wurde mit dem Beteiligungsgremium zusammengearbeitet, deshalb habe ich mich natürlich über manche Reaktionen tatsächlich gewundert. Aber dennoch haben wir unsere ursprünglichen Planungen angepasst, weil sich manche Anwohner*innen scheinbar überrollt gefühlt haben und mittlerweile andere Menschen dort aktiv sind als vor drei Jahren.

KS: Was heißt denn angepasst?

Hikel: Zentrales Ziel war die Herstellung von Barrierefreiheit und Sicherheit am Ufer. Dabei wird es auch bleiben. Ich will, dass Menschen mit Kinderwagen oder im Rollstuhl den Uferweg genauso selbstverständlich nutzen können wie alle anderen auch. Das Geländer muss dringend erneuert werden, genauso wie wir an einer funktionierenden Entwässerung nicht vorbeikommen. Bei alledem steht Sicherheit und Barrierefreiheit im Mittelpunkt. Die Begrünung des Streifens wurde nun aber deutlich verändert.

KS: Und was passiert nun mit den Sträuchern am Ufer, die viele der Anwohner*innen erhalten wollen?

Hikel: Da die neuen Vorgaben der Senatsverwaltung zur dezentralen Regenentwässerung verbindlich sind und breite und tiefe Mulden vorsehen, müssen die bestehenden Sträucher entfernt werden. Wir haben deshalb vereinbart, in dem gesamten Abschnitt nicht nur niedrige Stauden, sondern zusätzlich neue Sträucher zu pflanzen. Damit wurde auch einem vielfach auf einem Anwohner*innenworkshop geäußerten Wunsch entsprochen. Wir wollen nun in dem gesamten Bereich einheimische Sträucher pflanzen. Sie wurden nach Bienenfreundlichkeit ausgesucht und berücksichtigen die bestehende Artenvielfalt. Unsere aktualisierte Planung haben wir ebenfalls mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) abgestimmt.

Herr Hikel bot an, bei Bedarf die Sitzung des Beteiligungsgremiums im August erneut zu besuchen, um das überarbeitete Konzept nochmals vorzustellen und inhaltlich zu diskutieren.