Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #9 – 2022, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2022
Neue Entwicklungen auf dem Kindl-Areal
Was haben ein Gesundheits- und Stadtteilzentrum, zirkuläres Bauen, Sozialunternehmertum, Clubkultur, Nachbarschaftsinitiativen, globales Engagement, die Umsetzung von nachhaltig-innovativen Nutzungen und Bauweisen gemeinsam? Den Standort: das ehemalige Kindl-Gelände zwischen Neckar- und Rollbergstraße. Und eine Philosophie: das Grundstück der Spekulation zu entziehen und hier mittels des Instruments des Erbbaurechts soziale und ökologische Ziele in der städtebaulichen Entwicklung und Nutzung langfristig zu verankern.
Der ALLTAG wurde im Dezember 2021 eröffnet und von vielen verschiedenen sozialen Einrichtungen bezogen
Auf dem ehemaligen Kindl-Gelände wird das „Anders als üblich“ in der Entwicklung der Flächen zunehmend erfahrbar. Dahinter stecken für so große Bauvorhaben ungewöhnliche Ausgangsbedingungen, Mut, beständiges Lernen und viele Gespräche. Die Flächen sind im Eigentum der Terra Libra Immobilien GmbH, einem Unternehmen der privaten Stiftung Edith Maryon, sind aber für die Öffentlichkeit zugänglich. In der fortschreitenden Umsetzung zeigt sich, wie sich die Bausteine der Ideen und Lösungen für die teils hochkomplexen Anforderungen trotz notwendiger Konflikte langsam zusammenfügen. Die TRNSFRM eG, einst für die Projekte ALLTAG und CRCLR gegründet, hat die Entwicklung der restlichen Flächen (Vollgut und Kindl Hof) von der Eigentümerin übertragen bekommen. Die Flächen sollen ebenfalls im Erbbaurecht vergeben werden.
ALLTAG
Der ALLTAG, das Gebäude mit dem ungewöhnlichen Namen, wurde im Dezember 2021 eröffnet. Es wurde im Programmteil „Experimenteller Geschosswohnungsbau in Berlin“ durch das Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds (SIWANA) gefördert. Experimentell sind weniger die Bauweise als sein Grundriss und vor allem die Nutzungen, die das Gebäude mittlerweile mit Leben füllen. Im ALLTAG werden Angebote für all jene gemacht, die in besonderen Lebenslagen Hilfe, Schutz und Begegnung suchen. Das Raumprogramm ist vielfältig und geht flexibel auf die Anforderungen der unterschiedlichen sozialen Angebote ein und drückt sich architektonisch zum Beispiel durch die verglasten doppelgeschossigen Optionsräume aus.
Derzeit noch im Bau: die zwei- bis dreigeschossige Aufstockung der CRCLR Living eG in Holzbauweise
CRCLR
Echter Pionierdrang steckt auch in der Entwicklung des Gebäudes der historischen Fass-Ladehalle an der Rollbergstraße. Dieses Gebäude wurde ebenfalls im Programm SIWANA gefördert. Ziel war es, im Sinne der Kreislaufwirtschaft nachhaltig, innovativ und kostengünstig zu bauen. Viele Bauteile wurden von Abriss-Baustellen beschafft, um gebrauchte Materialien wiederzuverwenden. Auch wird so gebaut, dass verwendete Baustoffe nach ihrer Nutzungsdauer mindestens einem gleichwertigen Kreislauf wieder zugeführt werden können. So bestehen viele Wände aus Holz und Stroh und könnten bei einem Abriss einfach kompostiert werden. Alles in allem ist das Vorhaben ein komplexes Unterfangen, mehr als es der Bau eines Gebäudes sowieso schon ist: die Architekten mussten zum Beispiel „gefundene“ Bauteile in die Planung einpassen, recyceltes Material durfte nicht beschädigt sein und Bauvorschriften müssen bei dieser ungewohnten Art des Bauens natürlich trotzdem eingehalten werden. Vor allem braucht es Bauleute, die bereit und befähigt sind, Bauteile in diesem Sinne einzubauen. Nun ist ein großer Schritt vollbracht: In das Erdgeschoss ist im Februar 2022 auf 3.300 qm Bruttogrundfläche (BGF) das Impact Hub Berlin eingezogen, dessen Sozialunternehmerinnen und -unternehmer für einen gesellschaftlichen und ökologischen Wandel arbeiten. Die Mitglieder der CRCLR Living eG ziehen auf 2.800 qm BGF in die zwei- bis dreigeschossige Aufstockung in Holzbauweise ein.
Das von LXSY Architekten ausgebaute Impact Hub Berlin zog im Frühjahr 2022 in das Erdgeschoss des CRCLR, © Studio Bowie / LXSY Architekten
VOLLGUT
Für das VOLLGUT wurde im letzten Jahr mit dem städtebaulichen Wettbewerb und dem Sieger-Entwurf „Kindl-Hallen“ ein wesentlicher Grundstein für die künftige Gestaltung des Gebäudes gelegt. Bis zum Frühjahr wurden vom Bezirk und der Terra Libra GmbH die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Umsetzung verhandelt und in einem städtebaulichen Vertrag festgehalten. In diesem werden vor allem die Nutzungsart und das Nutzungsmaß für die zukünftige Bebauung geregelt. Der Vertrag sieht einen Nutzungsmix vor, der soziale und kulturelle Belange gleichermaßen berücksichtigt. Hierzu zählen zu einem größeren Anteil nicht störende Gewerbebetriebe sowie Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude (max. 65 Prozent). Darüber hinaus sind Anlagen für kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke auf dem Gelände vorgesehen. Im Vertragswerk wird zudem die Zugänglichkeit der sogenannten Kindl-Promenade geregelt, die die südliche Erschließung der zukünftigen Kindl-Hallen gewährleisten und den überwiegenden Teil des Tages öffentlich zugänglich sein wird.
Doch vor dem Neubau hat die Entwicklung des Bestands in Form der ehemaligen Kelleranlagen Vorrang. Hier gibt es zahlreiche Mieterinnen und Mieter, die sich derzeit gemeinsam in Workshops zur Nutzung des Bestands austauschen und an einer gemeinsamen Verwaltung arbeiten. Ziel ist es, für die Nutzenden langfristige Perspektiven zu schaffen, aber auch Verantwortung zu übergeben. Ein Knackpunkt bei den künftigen Nutzungen und in den Gesprächen mit dem Bezirk ist der Lärmschutz. Hier wurde lange um eine für alle zufriedenstellende Lösung gerungen. Ein Ergebnis scheint nun in Sicht, so dass für die Erschließung und Herrichtung der Kellergeschosse voraussichtlich im Herbst eine Baugenehmigung erteilt werden kann.
VOLLGUT, Kindl-Treppe und ALLTAG von der Neckarstraße aus gesehen
KINDL HOF
Der KINDL HOF stellt die Erschließungsfläche für die anliegenden Grundstücke dar und dient als öffentliche Durchwegung von der Rollberg- zur Neckarstraße. Die Fläche soll aber zugleich neue Qualitäten schaffen und die Nachbarschaft des Kindl-Areals bereichern. Deshalb wurde im vergangenen Jahr mit kreativen Methoden an Ideen für die Zukunft der Freifläche gearbeitet. In öffentlichen Workshops wurde z. B. gemeinsam gegärtnert, gebastelt und gefeiert. Mit der künftigen Gestaltung sollen unterschiedliche räumliche Atmosphären, mehr Biodiversität und Platz für soziale Aktivitäten geschaffen werden. Dabei ist es wichtig, u. a. durch Entsiegelung und mehr Vegetation die Hitzebelastung im Sommer für die Menschen an diesem Ort zu reduzieren. Die Freiflächengestaltung wird gefördert aus dem Berliner Programm für Nachhaltige Entwicklung (BENE). Dieses speist sich wiederum aus den Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Berlin.
Stephanie Otto mit Dank an Hans-Christian Ziebertz und Dominik Fornezzi von der TRNSFRM eG
Weiterführende Informationen
Zum Kindl-Areal auf der Website des Sanierungsgebiets:
www.kms-sonne.de/projekte/kindl-areal
www.kms-sonne.de/kindl-konglomerat
TRNSFRM eG:
www.trnsfrm.org/projekte
Stiftung Edith Maryon:
www.maryon.ch/liegenschaften/uebersicht