Bezahlbare Mieten im Sanierungsgebiet
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #6 – 2019, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand August 2019
Bezahlbare Mieten im Sanierungsgebiet
Handlungsspielräume und verfügbare Instrumente
Angesichts mancher gesellschaftlich ungelösten Konflikte gerät auch die Stadtentwicklung immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Angst, seine Wohnung nicht mehr bezahlen zu können, ist hierbei ein Thema, das auch besonders vielen Neuköllner*innen unter den Nägeln brennt. Vieles, was früher eher positiv empfunden wurde, z. B. die Neugestaltung von öffentlichen Straßen und Plätzen, wirkt auf manche nun bedrohlich. Denn sie fürchten, dass dies die Gentrifizierung unterstützt, also die Verdrängung der angestammten Bevölkerung.
Ist diese Befürchtung begründet? Dies ist eine sehr wichtige Frage. Denn ein Sanierungsgebiet ist ein Raum, in dem besondere Problemlagen vorherrschen, sogenannte „städtebauliche Missstände“. Diese sollen durch den gezielten Einsatz von Fördermitteln abgebaut werden – in Neukölln immerhin 60 Millionen Euro über den gesamten Sanierungszeitraum hinweg. Für das Gebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee liegen die Sanierungsziele vor allem in der Stärkung des Zentrums Karl-Marx-Straße und der Verbesserung der sozialen Infrastruktur sowie des öffentlichen Raums. Und zwar nicht für irgendwen, sondern konkret für die Bewohner*innen des Gebietes. An ihnen orientiert sich die Planung, ihre besonderen Bedürfnisse sind Grundlage des Sanierungsprogramms.
© Bergsee, blau
Bereits 2016 wurde eine „Wohn- und Infrastrukturuntersuchung“ durchgeführt (abzurufen unter: kms-sonne.mmserver.org/service). In dieser wurde das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee mit sieben Gebieten in Berlin verglichen, die eine ähnliche Struktur aufweisen, aber keine Fördergebiete sind. Quintessenz dieser Untersuchung ist: die Entwicklung der Mietpreise unterscheidet sich im Sanierungsgebiet nicht maßgeblich von den anderen innerstädtischen Lagen. Es hätte daher keinen Nutzen, auf den Einsatz von Fördermitteln zu verzichten. Und statt, wie woanders, nur mit geringem Aufwand Löcher zu stopfen, besteht mit der Städtebauförderung auch die Möglichkeit, komplexere Infrastrukturaufgaben zu bewältigen. Dies wird verknüpft mit einer zukunftsfähigen Gestaltung und einer viel stärkeren Beteiligung der Bewohner*innen, als dies in der klassischen Investitionsplanung, also ohne die umfassende Unterstützung der Verwaltung durch Mittel der Städtebauförderung möglich wäre.
Der Erhalt der Bevölkerungsstruktur ist in Neukölln aber auch stark mit der Sicherung kostengünstigen Wohnraums verknüpft. Wie lässt sich dies aber erreichen? Einen Königsweg gibt es hier leider nicht. Der Zielkonflikt zwischen dem Schutz des Eigentums und dem öffentlichen Interesse an bezahlbarem Wohnraum spiegelt sich auch im Baugesetzbuch wider. Dieses legt den Handlungsspielraum des Stadtentwicklungsamts als Verwaltungsbehörde verbindlich fest. Eine Möglichkeit, die das Baugesetzbuch der Verwaltung bietet, ist die Festsetzung sozialer Sanierungsziele. Der Erhalt kostengünstigen Mietwohnraums ist aber kein Problem, das allein das Sanierungsgebiet betrifft, sondern inzwischen weite Teile der Berliner Innenstadt. Daher wurde das Sanierungsrecht mit einem anderen städtebaulichen Instrument kombiniert: dem Milieuschutz.
© Susanne Tessa Müller
Sanierungsrechtliche Praxis
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #6 – 2019, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand August 2019
Sanierungsrechtliche Praxis
Acht Jahre Genehmigungsverfahren und Bautätigkeiten im Sanierungsgebiet
Im Jahr 2011 wurde das Gebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee als Sanierungsgebiet von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen förmlich festgelegt. Für die Durchführung der städtebaulichen Sanierung sind rund 15 Jahre geplant. In diesem Zeitraum hat der zuständige Bezirk Neukölln vor allem die Aufgabe, Investitionen zur Verbesserung der öffentlichen Einrichtungen, Grün- und Freiflächen sowie Straßen und Plätze im Gebiet durchzuführen. Um Einfluss auf die Gesamtentwicklung im Gebiet nehmen zu können, hat der Gesetzgeber im Sanierungsrecht besondere Genehmigungspflichten definiert, die von den privaten Eigentümer*innen, Bauherren und Mieter*innen im Gebiet einzuhalten sind.
Nicht nur für Bauvorhaben, sondern auch für umfangreiche Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten oder für Rechtsgeschäfte wie den Verkauf von Immobilien oder deren Beleihung mit Grundschulden ist beim Bezirksamt eine sanierungsrechtliche Genehmigung einzuholen. Dabei prüft der Bezirk, ob das Vorhaben oder das Rechtsgeschäft den Zielen der Sanierung entgegensteht oder die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen erschwert.
Die Genehmigungsverfahren werden vom Bezirksamt in einer Datenbank erfasst. Bereits im Artikel „4 Jahre Sanierung – eine Bilanz“ in der zweiten Ausgabe des KARLSON im Jahr 2015 wurde eine statistische Auswertung der Genehmigungspraxis vorgenommen. Dort wurden Merkmale, wie die Bautätigkeiten im Gebiet und die Eigentümerstruktur analysiert. Für diese sechste Ausgabe des KARLSON wurden nun alle Genehmigungsverfahren seit 2011 ausgewertet. Die Zahlen vermitteln einen guten Überblick über die Aktivitäten der privaten Akteur*innen im Gebiet. Zugleich sollen die Grafiken anschaulich die Veränderungen der Genehmigungszahlen in den ersten knapp acht Jahren der Sanierung aufzeigen.
Was prägte die erste Hälfte der Sanierungszeit?
In der ersten Hälfte des Sanierungszeitraums wurden vom Bezirk eine Reihe von Untersuchungen veranlasst und Beschlüsse umgesetzt, die das Sanierungsgebiet direkt oder indirekt betreffen und Einfluss auf die Genehmigungspraxis haben. 2014 wurden vom Bezirksamt für Nord-Neukölln „16 städtebauliche Leitlinien“ zur sanierungs- und planungsrechtlichen Beurteilung von Vorhaben der Nachverdichtung, also z. B. Dachgeschossausbauten oder Hinterhofneubauten, beschlossen. Damit wurde unter anderem eine einheitliche Grundlage für die Bewertung notwendiger Ausgleichsmaßnahmen geschaffen. Von großer Bedeutung war das Inkrafttreten der Milieuschutzgebiete Flughafenstraße/Donaustraße, Rixdorf, Reuterplatz und Körnerpark im Jahr 2016 (siehe KARLSON Nr. 4), die das Sanierungsgebiet weitgehend überdecken und in denen besondere Genehmigungskriterien für die Modernisierung von Wohngebäuden und Maßnahmen in den Wohnungen einzuhalten sind. Zudem müssen hier Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen genehmigt werden. Schließlich wurden im Jahr 2017 auch die Sanierungsziele durch eine umfangreiche Fortschreibung konkretisiert und ergänzt (siehe KARLSON Nr. 4).
Übersicht zu den Genehmigungen allgemein
Insgesamt sind seit 2011 2.812 Verfahren mit einer Genehmigung abgeschlossen worden. Davon fallen besonders drei Verfahrensarten ins Gewicht: Eigentümerwechsel, Grundschuldbestellungen und Vorhaben (siehe Abbildung). Die Verfahren bezogen sich sowohl auf Grundstücke als auch auf einzelne Wohn- oder Gewerbeeinheiten.
Anzahl der jährlichen Genehmigungen nach Art des Verfahrens
Unter den Begriff „Eigentümerwechsel“ fallen die Veräußerung von Grundstücken und Wohnungen. Sanierungsrechtlich ist dabei zu prüfen, ob sich in Kaufverträgen die Vertragspartner*innen zu etwas, z. B. Baumaßnahmen, verpflichten, das mit den Sanierungszielen nicht vereinbar ist. Auch ein überhöhter Kaufpreis kann der Genehmigung entgegenstehen. Schon im ersten Jahr nach der Festsetzung des Sanierungsgebiets wurden fast 300 Eigentümerwechsel genehmigt. In den folgenden sieben Jahren reduzierte sich deren Anzahl stufenweise bis auf ein Drittel im Jahr 2018. Insgesamt sind 1.318 Eigentümerwechsel genehmigt worden (in 98 Fällen wechselte eine Wohnung oder ein Grundstück auch mehrmals den Eigentümer).
Die zweithöchste Anzahl der erteilten Genehmigungen sind Grundschuldbestellungen. Eine Grundschuldbestellung ist in der Regel immer dann nötig, wenn eine Immobilie zu finanzieren ist. Für die Bank, die den Kredit gibt, dient die Grundschuld als Sicherheit oder als Pfandrecht. Die Grundschuld wird in das Grundbuch der zuständigen Gemeinde eingetragen. Dieser Vorgang wird als „Grundschuldbestellung“ bezeichnet. Auch eine Grundschuldbestellung kann Sanierungszielen zuwider laufen, wenn dadurch die Finanzierung notwendiger Sanierungsmaßnahmen auf dem Grundstück erschwert wird.
Viele Grundschuldbestellungen stehen im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Grundstücks oder einer Wohnung, da in den meisten Fällen der Kaufpreis vom Käufer teilweise oder vollständig durch Bankdarlehen finanziert wird. Daher verläuft die Kurve ähnlich wie die der Kaufvertragsgenehmigungen, wenn auch flacher (ca. 100 bis 150 Genehmigungen pro Jahr, siehe Abbildung).
Eine gleichbleibende Tendenz weist die Anzahl der in den letzten acht Jahren genehmigten Vorhaben auf. Darunter fallen die Anträge auf Neubau (z. B. Dachgeschossausbau) oder Modernisierungen, aber auch Anträge auf Nutzungsänderungen oder Werbeanlagen. So benötigt man z. B. eine sanierungsrechtliche Genehmigung, wenn ein Einzelhandels- in einen gastronomischen Betrieb umgewandelt wird. Die Anzahl der sanierungsrechtlichen Genehmigungen beläuft sich hier auf jährlich durchschnittlich 60. Einen Zusammenhang zwischen Baumaßnahmen und den Veräußerungen scheint es nicht zu geben, d. h. mehr Veräußerungen führten im Gebiet bisher nicht zugleich zu mehr Baumaßnahmen, also einer baulichen Aufwertung. Andere sanierungsrechtliche Verfahren, wie z. B. die Genehmigung von Miet- und Pachtverhältnissen gab es nur sehr wenige.
Die Gesamtzahl der nicht genehmigten Anträge in den Jahren 2011–2018 war mit 92, das sind drei Prozent aller Verfahren, sehr gering. Tatsächlich spiegelt die niedrige Zahl auch wider, dass das Bezirksamt meist schon durch die Beratung der Bauherrn im Vorfeld der Antragstellung Genehmigungshindernisse ausräumen konnte. Hierdurch können viele Genehmigungsanträge bereits genehmigungskonform gestellt werden. Grundschuldbestellungen oder Kaufverträge weisen dagegen in der Regel nur sehr selten Inhalte auf, die den Sanierungszielen entgegenstehen könnten.
Herkunft der Käufer*innen
Die Auswertung der Genehmigungsverfahren über Kaufverträge zwischen 2011 und 2018 belegt, dass rund 85 % dieser Verfahren den Erwerb von Wohnungen durch private Käufer*innen betrafen. Die übrigen 15 % bezogen sich auf Grundstückskäufe oder Wohnungskäufe von Gesellschaften oder Unternehmen. In der Abb. 2 wird die Herkunft der privaten Käufer*innen dargestellt: etwa 55 % haben als Wohnort Berlin angegeben; knapp ein Fünftel der Käufer*innen kommt aus dem übrigen Deutschland. Der Anteil der Käufer*innen, die im Ausland gemeldet sind, beträgt lediglich 10 %.
Herkunft der Käufer*innen nach gemeldetem Wohnort
Bauvorhaben
Die Mehrzahl der Genehmigungsanträge für eine bauliche Modernisierung betreffen die Modernisierung und Instandsetzung von einzelnen Wohnungen. Dazu zählen insbesondere Maßnahmen zur energetischen Optimierung, u. a. die Erneuerung von Heizungsanlagen oder Fenstern. Bei den Zahlen ist zu berücksichtigen, dass sich die Genehmigungen sowohl auf einzelne Wohnungen als auch ganze Gebäude (Grundstücke) beziehen können. Die zwischen 2011 und 2018 erteilten 167 Genehmigungen zeigen einen kleinen Einbruch im Jahr 2016, und schwanken ansonsten zwischen 15 und 25 Wohneinheiten pro Jahr (siehe Abbildung). Das Investitionsverhalten der Bauherren erscheint also in dem Zeitraum kaum verändert.
Jährliche Anzahl der Modernisierungsverfahren
Auch in Nord-Neukölln besteht eine hohe Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum. Das allgemeine öffentliche Interesse und Senatsziel, Neubau zu ermöglichen, steht angesichts der bereits hohen baulichen Dichte im Gebiet in einem Spannungsverhältnis zu den Sanierungszielen, die vor allem auf die Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Gebäudebestand abzielen. Mit den städtebaulichen Leitlinien zur Nachverdichtung wird versucht, die Nachverdichtung in einem vertretbaren Maß zuzulassen und auf den Grundstücken verträglich zu gestalten.
Insgesamt sind seit 2011 Genehmigungen für 503 neue Wohneinheiten im Gebiet erteilt worden. 341 entstanden in Neubauten und 162 durch Aufstockung bzw. Dachgeschossausbau. In diesem Zeitraum konzentrierten sich die Neubaugenehmigungen fast ausschließlich auf einige wenige Grundstücke, auf dem Kindl-Gelände (siehe KARLSON Nr. 3), auf dem Grundstück der alten Post, auf den Hinterhöfen der Karl-Marx-Straße 170 und 179 sowie auf den Hinterhöfen der Elbestraße 17 und Schönstedtstraße 7.
Anzahl der genehmigten Wohneinheiten (DG-Ausbau, Aufstockung und Neubau)
Während es Flächenpotenziale für Neubauten aufgrund der weitgehend geschlossenen Bebauung nur sehr eingeschränkt und eher punktuell gibt, sind Potenziale für den Dachgeschossausbau auf vielen Grundstücken vorhanden. Hier gab es in den letzten acht Jahren eine relativ konstante Aufwärtsentwicklung. Waren es in den ersten Jahren noch unter 20 Dachgeschosswohnungen pro Jahr, stieg die Zahl in den letzten Jahren deutlich.
Wie oben schon erläutert, erhöht eine zusätzliche Nachverdichtung im Wohnungsbestand auch den Druck auf das Wohnumfeld. Mehr Menschen im Gebiet bedeuten u. a. mehr Verkehr, mehr Schüler*innen, mehr Nutzer*innen der Grünanlagen, etc. Damit die negativen Auswirkungen einer Nachverdichtung im Gebiet abgemildert werden, fordert der Bezirk im Rahmen der Genehmigungsverfahren vom Bauherren so genannte Ausgleichsmaßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung. Dazu gehören z. B. die Entsiegelung von betonierten und asphaltierten Freiflächen auf dem Baugrundstück, Hof- und Dachbegrünungen oder auch eine Fassadenbegrünung, um den Anteil der Flächen zur Verbesserung des Naturhaushalts zu erhöhen. Auch sollen möglichst Müll- und Fahrradstellplätze in Räumlichkeiten des Neubaus zur Verfügung gestellt und offene Pkw-Stellplätze auf den Höfen reduziert werden, um die privaten Wohnhöfe zu entlasten. Seit 2011 wurden Ausgleichsmaßnahmen auf insgesamt 57 Grundstücken genehmigt und dadurch ein nicht unbeträchtlicher Sanierungserfolg erzielt.
Nestor Martinez, Torsten Kasat, Alexander Tölle
Karlson 6
Im KARLSON #6 – 2019, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee informieren wir Sie über die Entwicklungen und Projekte, die das Geschehen der städtebaulichen Sanierung aktuell prägen. Die Bandbreite der Themen reicht von der Darstellung der sanierungsrechtlichen Praxis über die Problematik des Erhalts bezahlbarer Mieten bis zur Beschreibung neuer Einrichtungen für Kinder und Jugendliche im Gebiet. Nachfolgend können Sie sich die einzelnen Artikel ansehen und auch herunterladen.
Bezahlbare Mieten im Sanierungsgebiet
Angesichts mancher gesellschaftlich ungelösten Konflikte gerät auch die Stadtentwicklung immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Angst, seine Wohnung nicht mehr bezahlen zu können, ist hierbei ein Thema, das auch besonders vielen Neuköllner*innen unter den Nägeln brennt. Weiterlesen…
Grußwort
Mit der seit acht Jahren laufenden Sanierung ist rund die Hälfte der Wegstrecke im Sanierungsprozess des Gebiets Karl-Marx-Straße / Sonnenallee geschafft. Diese sechste Ausgabe der Sanierungszeitung KARLSON zeigt die Bandbreite der Projekte und Themen, die derzeit das Geschehen der städtebaulichen Sanierung prägen. Weiterlesen…
Knapper Raum für viel Verkehr
Wie lässt sich der Wandel zugunsten des Rad- und Fußverkehrs gestalten? Wir sprachen dazu mit Helmut Große Inkrott und Lino Maisant, Mitglieder im „Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln“ und Horst Evertz von der BSG Brandenburgischen Stadterneuerungsgesellschaft mbH. Weiterlesen…
Sanierung kontrovers
Montag, 24. Juni 2019 – ein denkwürdiger Abend im ÇigliZimmer, 1. Stock, Rathaus Neukölln. Das Beteiligungsgremium Sonnenallee hat zu seiner allmonatlichen Sitzung geladen. Der Veranstaltungsort sowie die große Anzahl und die Zusammensetzung der Gäste sind ungewöhnlich. Die Stimmung ist angespannt. Weiterlesen…
Sanierungsrechtliche Praxis
Im Jahr 2011 wurde das Gebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee als Sanierungsgebiet von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen förmlich festgelegt. Für die Durchführung der städtebaulichen Sanierung sind rund 15 Jahre geplant. Weiterlesen…
Neue Einrichtungen für Kinder und Jugendliche
Der Bezirk Neukölln hat sich zum Ziel gesetzt, die Ausstattung des Quartiers mit öffentlichen Einrichtungen der Bildung und Freizeit besonders für Kinder und Jugendliche zu verbessern. Weiterlesen…
„Meine Welt gemeinsam gestalten“
Im April 2019 wurden die letzten Arbeiten in Wort und Bild, die von Neuköllner*innen geschaffen wurden, an den Wänden der Kindl-Treppe montiert. Weiterlesen…
Wo gute Ideen noch reifen
Das ehemalige Kindl-Gelände erwacht. 2019 starten hier viele neue Bau-Projekte. Währenddessen schlummert direkt unterhalb der Freifläche, zwischen Kart-Bahn und dem KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, ein rund 600 Quadratmeter großer Raum und wartet auf eine neue Nutzung: Der ehemalige Gärkeller der Kindl-Brauerei. Weiterlesen…
Die Kultur macht auf sich aufmerksam
Mit den klaren und einfachen Worten „OPER“ und „KINO“ an der Passage Karl-Marx-Straße 131-133 weisen seit einigen Jahren blaue und rote Leuchtbuchstaben auf zwei der wichtigsten Kulturinstitutionen im Zentrum Neuköllns hin. Weiterlesen…
Urbane Impulse für einen Zukunftsort
Die Karl-Marx-Straße und die Sonnenallee sind Teil des zentralen Aktionsraums im BIWAQ IV Projekt „Unternehmen Neukölln – urbane Impulse für einen Zukunftsort“. Weiterlesen…
Leben am Wasser
Im zweiten Teil der Artikelserie zur Geschichte „Trepköllns“ blickt der Historiker Henning Holsten zurück auf die Erbauung und frühe Nutzung der wichtigsten Wasserstraße Neuköllns Anfang des letzten Jahrhunderts, dem Neuköllner Schifffahrtskanal. Weiterlesen…
Die Wahrnehmung des Stadtgrüns ändert sich
Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.
Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.
Die Wahrnehmung des Stadtgrüns ändert sich
Temporärer Straßengarten des Projekts „Grüner Donaukiez“ in der Donaustraße © Matteo Ciprandi
Natur im Zentrum der Stadt ist heutzutage fast ausschließlich von Menschen gestalteter Raum, welcher sehr vielfältig und unterschiedlich in Ausprägung und Wertigkeit ist. Straßenbäume, Baumscheibengrün, Parkanlagen, Kleingärten, Hof- und Dachbegrünungen, Balkone und üppiger Pflanzenwuchs an Gebäudefassaden, aber auch Gemeinschaftsgärten und Friedhöfe bilden ein ökologisches Netz in der Stadt, dessen große Bedeutung inzwischen von vielen erkannt wird. Die Gruppe der Baumscheiben- und Stadtgärtner*innen ist im Stadtbild fast überall wahrnehmbar. Alleine etwa 3000 grüne Baumscheiben haben im Neuköllner Norden das Stadtbild positiv beeinflusst. Gartenprojekte beleben den Gemeinschaftsgedanken, fördern nachbarschaftliche Kommunikation und Austausch im Kiez und bieten Umwelterfahrungsräume für Klein und Groß. Durch den eigenhändigen Umgang mit Natur verändert sich nicht selten auch die Einstellung zum Beispiel zu Fragen von Nachhaltigkeit, Ernährung und Müllvermeidung. Gärtner*innen sind sensibler. Teilweise werden sie so produktiv, dass sie mit „urban food growing“ einen Beitrag zur eigenen Ernährung oder sogar zur Nahrungsmittelversorgung der Metropole leisten.
Die üppig bepflanzte Baumscheibe in der Neckarstraße als kleiner Garten vor der Haustür
Der soziale Wert von Stadtnatur insbesondere von Gemeinschaftsgärten oder gemeinschaftlichen Umweltaktivitäten ist inklusiv, denn er führt Interessierte zusammen. Alter, Herkunft, Bildung oder Fähigkeiten spielen dabei eher nachgeordnete Rollen. Jeder Mensch besitzt Potenziale, die im Rahmen dieses gemeinschaftlichen Lernens eingebracht werden können. Wenn in einem Garten gemeinsam gepflanzt und gekocht wird, dann sprechen Hände und Geschmack und für neu Angekommene kann Spracherwerb „ganz nebenbei“ erfolgen.
Urban Gardening auf dem Dach der Rixbox © Hossein Eggebrecht
Der ökologische Wert von Stadtnatur zeigte sich in diesem Extrem-sommer 2018 besonders deutlich. Begrünte Höfe und Fassaden trugen zu einer höheren Wasserverdunstung bei. Der große Baum im Innenhof sorgt problemlos für eine mehrere Grad geringere Temperatur im Vergleich zur Straße vor dem Haus. Hitzebedingte Gesundheitsrisiken werden gemildert. Stadtgrün bindet Feinstaub, schafft Lebensräume für Insekten, Vögel und Kleinsäuger und trägt dazu bei, dass die Folgen von Starkregenereignissen begrenzt werden, denn Gründächer und begrünte Flächen speichern Wasser, das dann nicht in die Kanalisation und schlimmstenfalls mit viel Schmutz in unsere Flüsse geleitet wird. Wichtig dabei ist es, das eigene Gärtnern naturnah, ohne Torf in der Blumenerde, ohne Chemie im Gießwasser und mit möglichst naturnaher Pflanzenauswahl (z. B. blühende Mittelmeer-Kräuter) zu gestalten. Wer so handelt, wird sich bald an Wildbienen, Hummeln, Schmetterlingen und Vögeln erfreuen können.
Die Stadt der Zukunft muss sich Natur erhalten und in passenden Nischen neue Naturräume schaffen, denn ausreichend urbane Natur ist ein Garant für Lebensqualität, Gesundheit und Artenvielfalt.
Dr. Christian Hoffmann, Umweltconsulting Dr. Hoffmann
Der Anspruch wächst
Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.
Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.
Der Anspruch wächst
Menschen nicht nur satt zu machen und ihren Durst zu löschen, sondern auch zufrieden, das ist eine Erfolgsvoraussetzung für die Gastronomie. Sie wird zunehmend zum Event, bei dem das Erlebnis manchmal sogar wichtiger als das Essen wird. Anspruchsvolle Gäste suchen das Besondere. Andere mögen nicht selber kochen, wollen Freund*innen treffen oder in ihrem Single-Haushalt einfach nicht alleine sein. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
© Frieder Salm (unten rechts) © Juni Fotografen (oben rechts)
Beim Blick auf das Zentrum Karl-Marx-Straße wird deutlich: Die Anzahl der Gastronomiebetriebe ist seit 2008 beträchtlich angewachsen und die Vielfalt hier besonders eindrücklich. Nach jahrzehntelangem Stillstand boomt in gastronomischer Hinsicht mittlerweile kaum ein Berliner Stadtteil so wie Neukölln. Jede zweite Berliner Neuansiedlung befindet sich derzeit hier. Die Angebote sind sehr individuell. Der Trend Systemgastronomie, gemeint sind MacDonald’s, Starbucks und Co, fällt im Bezirkszentrum Neukölln zurzeit nicht sehr ins Gewicht. Als Folge dieser Entwicklungen wachsen die Erwartungen der Besucher*innen an die Qualität der Gastronomie, wenn sie in Nord-Neukölln einkehren. Ein Anspruch, den man vor einigen Jahren wohl nicht mit dem Bezirk in Verbindung gebracht hätte.
Die Erdgeschosszonen sind in manchen Seitenstraßen der Karl-Marx-Straße zu Erlebnis- und Begegnungsorten geworden, wie z. B. in der Richardstraße oder – über die Sonnenallee hinweg – ganz prominent in der Weserstraße mit hippen und kiezigen Cafés, Bars und Restaurants. Der Bezirk profitiert von seinem Ruf als Szene-Kiez und dem Berliner Tourismusboom, der vor allem junge Leute anzieht. Auch hinsichtlich des Preisniveaus variiert das Angebot deutlich: Es gibt zahlreiche preiswerte Angebote im Bereich Street-Food, aber neuerdings auch Gastronomie auf hohem Niveau. Doch auch manch traditionelle und für Neukölln früher so prägende Eckkneipe existiert immer noch standhaft in den Seitenstraßen der Karl-Marx-Straße.
© Micha Strahl (oben rechts)
Auf der Karl-Marx-Straße selbst wächst die Vielfalt des gastronomischen Angebots, wenn auch nicht ganz so bunt. Insgesamt wird die Gastro-Szene hier vor allem durch die migrantischen Geschäftsleute sowie Waren und Gerichte aus der ganzen Welt geprägt. Das Angebot reicht von internationalen Imbissen über Shisha-Bars bis zu Frühstückshäusern. Für Nachtschwärmer*innen gibt es längst nicht mehr nur Pommes und Döner. Die Vielfalt der türkischen und arabischen Küche, Suppen, Eintöpfe oder vegane Platten und Catering präsentieren sich zwar meist unspektakulär, aber dennoch schmackhaft und bezahlbar.
Café Rixbox
Ein besonderes Beispiel ist die Rixbox auf dem Alfred-Scholz-Platz, die gleichzeitig Initiator und Partner für die Bespielung des Platzes mit Veranstaltungen ist. Mit dem Vorwerck eröffnete neben der Neuköllner Oper ein weiteres vielversprechendes Restaurant. Beständig behauptet sich währenddessen das Café Rix neben dem Heimathafen als weiterer Anlaufpunkt unter anderem für das Kulturpublikum.
Und was wird morgen sein? Die Gastronomisierung des Bezirkszentrums bis hin zum Neuköllner Schiffahrtskanal scheint ungebrochen. Neukölln strebt im Ranking der angesagten Szenekieze weltweit nach oben. Dennoch muss man warnen, es nicht zu übertreiben. Die steigenden Gewerbemieten führen in einigen Ecken bereits zu einer Gastronomie-Monokultur. Kleinere Handwerksbetriebe und andere Dienstleister sowie soziale Träger, die für den täglichen Bedarf unerlässlich sind, gehören zu den Leidtragenden dieser Entwicklung. Für sie ist es sehr schwierig, in der Nähe überhaupt noch Flächen zu finden. Der eigene Erfolg darf nicht dazu führen, die Kleinteiligkeit sowie Bezahlbarkeit und damit letztlich das bunte Leben hier zu vertreiben.
Stephanie Otto, raumscript
Von Form und Funktion
Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.
Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.
Von Form und Funktion
Gebäude sind Repräsentanten ihrer Zeit. Ihre Fassaden und Architektur bestehen meist länger als die Nutzung, für die sie gebaut worden sind. Sie beeinflussen manchmal noch Jahrhunderte nach ihrer Entstehung den sie umgebenden städtischen Raum, wobei die Welt herum sich in dieser Zeit massiv verändert hat. Was macht die Zukunft mit der Vergangenheit der Gebäude?
Historische Aufnahme der Schalterhalle des Sparkassengebäudes © Museum Neukölln
Entlang der Karl-Marx-Straße prägen seit über 100 Jahren einige wenige monumentale Gebäude das Bild der Straße. Dazu gehören das Rathaus, das Amtsgericht und die Alte Post. Sie sind Baudenkmale aus einer Zeit, als Neukölln zur Großstadt wurde. Zu dieser Kategorie gehört auch das Bankgebäude in der Karl-Marx-Straße 107. Mit dem Umzug der Filiale der Berliner Sparkasse 2017 endete am Alfred-Scholz-Platz eine Ära. Wie auch die Post, die 2003 aus ihrem angestammten Gebäude auszog, hinterlässt dieser Umzug eine Leerstelle im Zentrum, die es neu zu füllen gilt.
Repräsentative Banken-Architektur am heutigen Alfred-Scholz Platz, 1950er Jahre © Museum Neukölln
Die heutige Sparkassen-Filiale Karl-Marx-Straße 91
Schauen wir kurz zurück: Das „kleine Bankenviertel Neuköllns“ mit Reichsbankgebäude (heutiges PRACHTWERK) und Sparkasse befand sich Ecke Ganghoferstraße / Karl-Marx-Straße. Das Gebäude am heutigen Alfred-Scholz-Platz entstand zwischen 1915 und 1918, um die Sparkasse aus dem Rathaus Neukölln in ein eigenes Verwaltungsgebäude auslagern zu können. Bauherr war der Magistrat der Stadt Neukölln unter dem ausführenden Stadtbaumeister Zollinger. 1896 hatte die Gemeindevertretung von Rixdorf die Errichtung einer eigenen Sparkasse beschlossen, die Berliner Sparkasse gab es hingegen schon seit 1818. Eigentliches Ziel der neuen kommunalen Banken war es, auch kleinen Leuten unter dem Leitspruch „Spare in der Zeit, so hast Du in der Not“ das Sparen zu ermöglichen, doch die Sparkasse bekam großen Zulauf aus allen gesellschaftlichen Schichten. In Neukölln schien der wirtschaftliche Erfolg besonders ausgeprägt. Rudolf Schöbel, Zweigstellenleiter an der Karl-Marx-Straße, befand Anfang der 1960er Jahre: „Das Sparkassenwesen in Neukölln hat eine gute Tradition und steht deshalb nicht ohne Grund mit an der Spitze aller zwölf Bezirke, die den freien Teil unserer Stadt repräsentieren.“
Das Prachtwerk im ehemaligen Gebäude der Reichsbank Ganghoferstraße 2 © Prachtwerk
Mittlerweile liegt die Zukunft offenbar beim Online-Banking. Das hat Auswirkungen auf das Filialnetz – nicht nur der Sparkasse. Auch die baulich imposante Repräsentanz des Gebäudes am Alfred-Scholz-Platz brauchte es wohl nicht mehr. Geringere Erträge, unter anderem durch das stark wachsende Online-Banking, sind einige Gründe dafür. Die Karl-Marx-Straße bleibt weiterhin ein bevorzugter Standort der Berliner Sparkasse – wenn auch in völlig neuem Gewand. An der Karl-Marx-Straße 91 wird ein neues „Wohlfühlkonzept“ verfolgt. Kiez-Nachrichten, eine ansprechende Möblierung oder WLAN-Angebote sollen die Wartezeit z. B. für einen Beratungstermin versüßen. Die Berliner Sparkasse sieht sich so für die Zukunft besser aufgestellt.
Welche Spuren hinterlässt die Geschichte der Sparkasse, wenn eine neue Nutzung für das Gebäude am Alfred-Scholz-Platz gefunden ist? In die große Schalterhalle wird wieder Leben einziehen, das ist sicher. Vielleicht werden die Besucher*innen dann die Kulisse bestaunen, die von einer anderen Zeit erzählt. Gelebte Geschichte!
Stephanie Otto, raumscript
Konzepte im Umbruch
Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.
Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.
Konzepte im Umbruch
Handel ist Wandel – diese Binsenweisheit bringt es auf den Punkt. Der Handel befindet sich vor allem aufgrund des wachsenden Online-Handels im großen Umbruch. Wie sieht auch in diesem Zusammenhang die Zukunft der Karl-Marx-Straße aus? Wie hat der stationäre Handel gegenüber dem Internet eine Chance?
Die Zuwachsraten des Online-Handels, die jährlich bei etwa zehn Prozent liegen, lassen weitere Verschiebungen im Handel erahnen. Der Handel ist aber noch immer der wichtigste Frequenzbringer für die Zentren. Neue Konzepte sind nötig, um die Zentren attraktiv und lebendig zu halten. Der Erfolg des stationären Handels wird künftig mehr als je zuvor von einer guten Mischung der Nutzungen und Angebote abhängen sowie von der Atmosphäre und der Qualität des Raums, in den er eingebettet ist. Am Beispiel der Neukölln Arcaden zeigen wir stellvertretend für das ganze Zentrum Karl-Marx-Straße einige Trends der Entwicklung auf.
Umzug der Postfiliale Karl-Marx-Straße
Schon 2003 bezog das Hauptpostamt 44 neue Räumlichkeiten in den Neukölln Arcaden und verließ seinen angestammten Sitz Karl-Marx-Straße / Ecke Anzengruberstraße. Die Post verkaufte damals aufgrund von Umstrukturierungen ihre Immobilien. Damit verbunden war die Schließung der Post am anderen Ende der Hauptlage. Dies zeigt die Tendenz einer zunehmenden Konzentration wichtiger Zentrumsnutzungen auf einen eng begrenzten Raum.
Die Neukölln Arkaden an der Karl-Marx-Straße © Ricarda Spiegel
Mehr als Einkaufen: Kunst-Installation „Faire l’aventure“ der Künstlerin Tere Recarens in den Neukölln Arkaden, 2009 © Tere Recarens
Zunehmende Mischung des Handels mit anderen Nutzungen
Die besonderen Nutzungen Stadtbibliothek, Kinocenter und Klunkerkranich sind heute ein großer Wettbewerbsvorteil für das Einkaufszentrum Neukölln Arcaden. Denn monofunktional genutzte Handelsimmobilien, wie man sie bisher kannte, werden nicht mehr so stark nachgefragt. Stattdessen werden aller Voraussicht nach Handelsimmobilien mit einer Mischnutzung und breit aufgestellten Zielgruppen erfolgreicher sein. Ein gutes Beispiel für neue Konzepte sind die Planungen für das „101 Neukölln“ (heute Karstadt-Schnäppchencenter), die neben Einzelhandelsflächen auch Gastronomie, Fitnessangebote und CoWorking-Spaces vorsehen. Auch der Umbau der Alten Post setzt auf Mischnutzung mit Gastronomie, Büros und einem Nahversorger im Erdgeschoss.
Verlegung Service-Center der AOK Nord-Ost
Wenn Handelsflächen schwer vermietbar sind, wie z. B. Läden im 2. Obergeschoss der Neukölln Arcaden, können ganz andere Nutzungen eine gute Lösung sein. Hier hat sich seit Mai 2016 das Service-Center der AOK Nord-Ost eingemietet und sorgt für zusätzliche Frequenz in den Arcaden. Aber auch an anderen Orten der Karl-Marx-Straße ist der Trend zur Umnutzung von Handelsflächen zu Gastronomie oder serviceorientierten Dienstleistungen, z. B. Zahnarztpraxen, zu beobachten.
Eröffnung eines Bio-Supermarkts im 1. Obergeschoss
Auch Nahversorgungsunternehmen fragen den Standort Karl-Marx-Straße verstärkt nach. Qualität, Frische und Service ist den Kund*innen im Lebensmittelhandel zunehmend wichtig. So hat sich in den Neukölln-Arcaden im 1. Obergeschoss ein Bio-Supermarkt angesiedelt. Die großen Verbrauchermärkte punkten mit Erlebniskonzepten. Auch inhabergeführte Geschäfte an der Karl-Marx-Straße verknüpfen zunehmend Verkauf mit z. B. Gastronomie, wie z. B. Feinkost Kropp. Neben dem Verkaufsbereich hat das Geschäft nun mehr Platz und Atmosphäre zum Verweilen und Genießen.
Ansiedlung des Kulturdachgartens Klunkerkranich auf dem obersten Parkdeck
Aber auch allgemein setzt der stationäre Handel zunehmend auf die Erlebnisqualität am Standort. Die Neukölln Arcaden und der Klunkerkranich sind diesbezüglich eine gelungene Verbindung eingegangen. Der Klunkerkranich ist heute ein Ausgeh-Ort für internationales Publikum. Hiervon profitieren auch die Geschäfte.
Das Profil der Karl-Marx-Straße als Handelsstandort wird künftig auch von einer guten privatwirtschaftlichen Entwicklung der Schlüsselimmobilien Alte Post, ehemaliges C&A-Kaufhaus, Karstadt-Schnäppchencenter oder ehemaliger H&M-Standort abhängen. Die öffentliche Hand legt derzeit mit dem Umbau der Karl-Marx-Straße die Grundlage, um allen Immobilienentwickler*innen und Händler*innen ein attraktives Umfeld für eine erfolgreiche Zukunft zu schaffen.
Susann Liepe, Lukas Mohn, Citymanagement der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
Es geschieht zu viel und zu schnell
Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.
Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.
Es geschieht zu viel und zu schnell
„Entdecken Sie die spannenden Seiten der Einwanderung“ steht auf der Ankündigung der Route 44 – Neukölln Oneway, mit der die Stadtführerinnen und Stadtteilmütter Gül-Aynur Uzun und Hanadi Mourad zur Entdeckungsreise durch Nord-Neukölln einladen. Gül-Aynur kam 1973 mit ihrer Familie aus der Türkei, Hanadi flüchtete 1989 mit ihrer Familie vor dem Krieg im Libanon. Wir haben mit beiden Frauen über ihre Erfahrungen und ihr persönliches Heimatgefühl gesprochen.
Hanadi Mourad und Gül-Aynur Uzun © Gabi Kienzl
Sie haben die Einwanderung zum Thema Ihrer Stadtführungen gemacht. Wo finden sich die Spuren der Einwanderung, vor allem die der so genannten Gastarbeiter*innen der 1960er und 1970er Jahre?
Gül-Aynur: Die Gastarbeiter wurden vornehmlich in Kreuzberg, Neukölln- Nord und Wedding untergebracht. Als ich Anfang der 1970er Jahre mit meiner Mutter und meinen vier Geschwistern nach Berlin kam, mussten wir an der Werbellinstraße in einem Zimmer wohnen. In der neu erbauten Gropiusstadt haben wir keine Wohnung bekommen, weil wir Ausländer waren. Erst als dort zehn Jahre später der Mittelstand wieder wegzog, konnten wir umziehen. Heute wohnt die – mittlerweile vierte – Einwanderergeneration in allen Teilen der Stadt. Die Konzentration auf die Wohnorte hatte aber auch praktische Vorteile: man hat sich gegenseitig vor allem wegen der Sprache gebraucht und unterstützt.
Wie sieht es heute in Neukölln aus?
Hanadi: Die Sonnenallee ist zum Treffpunkt der arabischen und syrischen Migranten geworden. Hier kann man alles finden. Man kann völlig neue Lebensmittel kaufen, von denen man vor drei Jahren noch kaum etwas gehört hat. Schon früher konnten wir an der Sonnenallee das beste frische Brot kaufen und sind deswegen extra hierher gefahren. Heute kommt die Community aus ganz Berlin und Umgebung, um hier einzukaufen.
Wie haben Sie beide sich kennengelernt?
Gül-Aynur: Wir haben uns 2007 zu Stadtteilmüttern ausbilden lassen. In unseren Kurs kam eine Frau, die fragte, ob nicht jemand Lust hätte, aus migrantischer Sicht Stadtführungen in Neukölln zu machen. Dafür haben wir uns – nach etwas Überzeugungsarbeit durch mich (lacht) – zusammengefunden. Wir erzählen neben der allgemeinen Geschichte vor allem unsere persönliche Migrationsgeschichte
Betrachten Sie bzw. die Migrant*innen die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahre auch als „ihre“ Geschichte?
Gül-Aynur: Mit der Identifikation ist es in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden. Dazu trägt sicher aktuell auch die Özil- und Erdogan-Debatte bei. Der Abstand wächst. Schlimm waren auch die Einschnitte durch die Anschläge z. B. in Mölln und natürlich die NSU-Morde – das hat Vertrauen zerstört. Die Politik hätte deutlicher Stellung beziehen sollen. Die Türken haben sehr viel für Deutschland getan.
Ich habe hier in Deutschland meine Heimat aufgebaut. So wie ich werden viele immer noch als Gast behandelt, obwohl wir integriert sind, hier arbeiten und so weiter. Ich habe erst dieses Jahr meine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen.
Hanadi: Das ist „unser Thema“. Man spielt mit den Ängsten der Menschen. Die Unsicherheit ist sicher auch ein Grund, warum sich so wenige Migranten z. B. in Gremien engagieren. Wir haben andere Sorgen. Gül-Aynur und ich versuchen, mit unserer Arbeit dagegenzuhalten und im Hintergrund aufzuklären. Doch nur eine Schlagzeile, die z. B. die Kriminalität in den Vordergrund schiebt, macht unsere Arbeit kaputt.
Führung der Route 44, Neukölln Oneway: Auf den Spuren der Einwanderung in Neukölln © Gabi Kienzl
Wo fühlen Sie sich zuhause?
Hanadi: Ich fühle mich zuhause in meiner Wohnung – in Berlin – man findet alles hier. Berlin gefällt mir. Ich habe die Hälfte meiner Kindheit im Krieg verbracht und die andere Hälfte in Asylbewerberheimen. Die Menschen dort haben mich geprägt. Neukölln ist etwas sehr Besonderes: Jeder wird hier in Ruhe gelassen, hier kann man relaxed sein.
Gül-Aynur: Ich fühle mich in Neukölln zuhause. Weil ich hier groß geworden bin, weil hier meine Arbeit und meine Wohnung sind. Mein Gefühl ändert sich mit der Zeit immer mal wieder. Früher wollte ich unbedingt zur Mittelschicht gehören und viel lieber in Wannsee wohnen. Heute bin ich froh, dass ich hier wohne. Hier muss ich mich nicht verstellen.
Ändert sich das Lebensgefühl durch den starken Zuzug und den Druck auf den Neuköllner Wohnungsmarkt?
Hanadi: Es ist überwältigend. Es geschieht zu viel und zu schnell – negativ wie positiv. Neukölln wirkt nicht mehr so arm, die Menschen ändern sich. Es gibt jetzt sehr viele unterschiedliche Bildungsstandards. Diese neue Neuköllner Mischung findet man z. B. an der Rixbox auf dem Alfred-Scholz-Platz.
Gül-Aynur: Das „Dorf“ Nord-Neukölln ist hip geworden. Früher haben die Gastarbeiter den Stadtteil geprägt, nun werden auch wohlhabende Bewohner Neukölln prägen und weitere nach sich ziehen. Neukölln als unser „Wohlfühl-Ort“ ist auch in Gefahr.
Wir danken Euch für dieses Gespräch.
Interview: Stephanie Otto und Tania Salas, raumscript
Leben an der Karl-Marx-Straße
Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.
Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.
Leben an der Karl-Marx-Straße
Wessen Zuhause ist die Karl-Marx-Straße? Wer lässt sich hier gerne nieder und warum? Was wünschen sich die Menschen für ihre Zukunft hier? Mit diesen Fragen begaben sich die Autor*innen des BROADWAY–Redaktionsteams Mitte September 2018 in die Straßen des Zen-trums und trafen auf interessante Menschen mit Antworten, die auch für die Vielfalt und das Potenzial des Bezirks stehen.
„Ich bin hier nicht die Fremde“ Ali, 34 Jahre
Ali gefällt die Multikulturalität in Neukölln und fühlt sich hier zuhause. „Ich bin hier nicht die einzige schwarze Frau und dadurch auch nicht ‚die Fremde’ im Kiez“, beschreibt sie ihr alltägliches Empfinden. Viele Freund*innen wohnen hier in der Nähe, die sie zum großen Teil über ihre Kinder kennen gelernt hat. Seit zehn Jahren wohnt Ali in Neukölln. Wir treffen sie auf dem Kindl-Gelände. Die Karl-Marx-Straße nutzt sie weniger als Aufenthaltsort, sondern eher als Verbindung, über die sie verschiedene Lieblingsorte erreicht. Im Sommer zieht es sie vor allem aufs Tempelhofer Feld oder zum Klunkerkranich. „Da hat man einen schönen Blick auf die Stadt, aber er ist zu teuer geworden.“ Im Winter geht sie gern in das Stadtbad mit Sauna, auch die Helene-Nathan-Bibliothek besucht sie öfter. Für Fahrradfahrer*innen ist die Situation ihrer Meinung nach immer noch schwierig. Es braucht weitere Verbesserungen. Nicht nachvollziehen kann sie manche Unfreundlichkeit der Leute und das Desinteresse einiger Bevölkerungsgruppen am politischen Engagement. Um aus Neukölln ein noch besseres Zuhause zu machen, sollte die Politik stärker gegen Spekulant*innen vorgehen, die nur eine Gewinnvermehrung im Sinn haben und den Stadtteil gar nicht kennen.
„Man fühlt sich zuhause, weil man alles kennt.“ Caroline, Ende 50
„Gewachsene Geschichte“ nennt Caroline die 18 Jahre, in denen sie bereits in der Richardstraße wohnt. Die Neuköllner Hinterhöfe, ihre Hausgemeinschaft, den Comenius-Garten oder den Richardplatz schätzt sie sehr. Durch das Miterleben des Aufwachsens ihrer Kinder, die Nähe zu ihren Freund*innen und die Kiezverbundenheit fühlt sich Caroline hier zuhause. „Weil man alles kennt“, sagt sie in Bezug auf die Nachbar*innen und naheliegenden Geschäfte. Das internationale Angebot lobt Caroline genauso wie das gute Verständnis und die Vernetzung zwischen den Ladenbesitzer*innen. Sie selbst führt seit sechs Jahren in ihrem Wohnhaus einen Second-Hand-Laden für Kinderkleidung. Der Kiez ist „lebbarer“ geworden, es entwickelt sich viel, wie zum Beispiel auf dem Alfred-Scholz-Platz. Allerdings bringt die Aufwertung auch Probleme mit sich. Die stark gestiegenen Mieten führen zu Kommunikationsproblemen zwischen alten und neuen Nachbar*innen: „Neue Mieter zahlen hier doppelt so viel“, sagt Caroline. Auch in ihrem Laden bekommt sie den Immobilienboom zu spüren. Demnächst muss sie schließen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen kann. Dabei gestaltet vor allem das Kleingewerbe die Atmosphäre im Kiez mit. Ihrer Meinung nach wäre ein Milieuschutz auch für das Kleingewerbe nötig.
„Multikulti halt, mehr Heimat geht eigentlich nicht.“ Claudia, 28 Jahre
Claudia ist in der Gegend um das Rathaus Neukölln aufgewachsen, jetzt wohnt sie in Buckow. Trotzdem ist die Karl-Marx- Straße ihre Heimat. Sie ist vor allem wegen ihrer Arbeit im Zeitschriften- & Tabakladen in der Passage häufig hier. „Man kennt die Leute vom Sehen und die Mitarbeiter der Geschäfte, wo man einkaufen geht. Es ist das Vertraute, was man täglich sieht, was die Heimat ausmacht. Multikulti halt, mehr Heimat geht eigentlich nicht“, sagt Claudia über die Karl-Marx-Straße. In ihrer Freizeit hält sie sich am liebsten in der Hasenheide, im Körnerpark, auf dem Karl-Marx-Platz und auf dem KINDL-Gelände auf. Allerdings sollten die Spielplätze in der nahen Umgebung verbessert und vor allem sauberer gehalten werden, auch breitere Bürgersteige in der Karl-Marx-Straße fände Claudia gut.
„Die Karl-Marx-Straße ist ja eine Berühmtheit.“ Ebenezer, 69 Jahre
Ebenezer ist vor sechs Jahren nach Berlin gezogen und wohnt in der Roseggerstraße. Anfangs lebte er in der Boddinstraße und führte dort auch ein Bekleidungsgeschäft. Seine Großeltern wohnten ursprünglich in den USA bis sie sich dazu entschieden, nach Freetown (Sierra Leone) zu ziehen. Die meiste Zeit verbrachte er jedoch in Heidelberg, wohin es ihn mit 19 Jahren zum Studium verschlug. Dort ist er quasi aufgewachsen und empfindet die soziale Kompaktheit als Zuhause: man kennt sich und alles ist etwas kleiner als in Berlin. In Neukölln erlebt Ebenezer das Alltagsleben anonymer, manchmal vermisst er auch die Zuverlässigkeit bei den Leuten. Trotzdem betont er, wie gut die multikulturelle Begegnung in Neukölln funktioniert. Vor allem auf dem Rathausvorplatz, wo er sich fast täglich aufhält, „sind alle möglichen Leute“. Auch während wir das kurze Interview führen, grüßt Ebenezer einige Passant*innen, die er zu kennen scheint.
„Ich fühl‘ mich hier wohl, weil es mir gefällt.“ Kevin, 27 Jahre
Kevin ist erst vor vier Wochen nach Berlin gezogen. Der gebürtige Marburger befindet sich als Lehrer momentan auf Jobsuche und hatte Lust auf eine Großstadt – so zog es ihn nach Neukölln. Als wir ihn treffen, will er sich gerade den Wochenmarkt auf dem Karl-Marx-Platz anschauen, in dessen Nähe er wohnt. Um sich wirklich zuhause oder heimatlich zu fühlen, muss man sich laut Kevin vor allem in der Wohnung und Umgebung wohlfühlen, man muss sich in der Gegend auskennen und nicht lange suchen müssen. Viele Freund*innen von Kevin wohnen hier in der Nähe, was auch ein sehr wichtiger Faktor für ihn ist. Er hat hier noch keine spezifischen Lieblingsorte gefunden, jedoch gefällt ihm besonders das bunte Treiben an der Karl-Marx-Straße. Er schätzt die vielen verschiedenen Läden vor Ort, außerdem ist alles nah beieinander.
Interviews: Claas Fritzsche und Tania Salas, raumscript
Anders wahrnehmen
Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.
Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.
Anders wahrnehmen
Der öffentliche Raum ist der natürliche Ort der zwischenmenschlichen Begegnung. Seit der griechischen Antike dienten Plätze neben Transport und Handel auch der politischen Meinungsbildung und Abstimmung. Heutzutage erfüllen in den großen Städten viele Straßen und Plätze kaum mehr eine bedeutsame Funktion im gesellschaftlichen Leben, auch wenn hier zuweilen demonstriert wird oder Interessengruppen über ihre Programme informieren.
Neben dem Passieren, Flanieren und Verweilen bietet der öffentliche Raum einen bedeutenden Platz für die künstlerische Auseinandersetzung: die Kunst im öffentlichen Raum. Diese muss nicht immer als dauerhaftes Monument errichtet werden. Insbesondere kurzfristige Interventionen bieten Anlass zu Diskussionen, Auseinandersetzungen und gemeinschaftlichen Aktionen und lassen gesellschaftliche Teilhabe aufblühen, die möglicherweise auch den Blick auf den öffentlichen Raum der Zukunft verändern. Denn durch die Kunst wird besonders offensichtlich, dass der öffentliche Raum mehr sein kann, als nur von „A“ nach „B“ zu kommen. Anhand von drei Beispielen in Nord-Neukölln werden unterschiedliche Erfahrungen mit Interventionen beschrieben, die in den letzten Jahren im Rahmen des Kunstfestivals 48 Stunden Neukölln stattfanden.
Eine neue Raumerfahrung, Installation „Wo bin ich“ von Patricia Pisani auf dem Richardplatz, 2018 © Patricia Pisani
Patricia Pisani spielte 2018 mit ihrer Außeninstallation „Wo bin ich“ auf dem Richardplatz mit den unsichtbaren Grenzen im öffentlichen Raum. Sie setzte und markierte willkürliche neue Grenzen, schuf Raumzuschnitte und provozierte veränderte Bewegungen in der Grünfläche. Die Reaktionen der Besucher*innen waren nicht nur positiv. Dem Zugewinn neuer Raumerfahrungen von Kunstinteressierten stand die Verunsicherung von Menschen gegenüber, die den Platz als ihre eigene Einflusssphäre betrachteten. Rund um stark frequentierte Sitzbänke machte sich ein „Revierverhalten“ von Resident*innen bemerkbar, das sich nicht nur in verbaler Aggression entlud. Ein Nachbar fühlte sich durch die künstlerische Aktion so beeinträchtigt, dass er die Absperrbänder durchschnitt und schließlich die Polizei schlichtend eingreifen musste. Diese destruktive Energie war nicht erwartet worden, doch zeigt sich, dass der Finger genau auf die schmerzende Wunde des öffentlichen Raums gelegt worden war: Wer nimmt die (alleinige) Nutzung von Stadträumen für sich in Anspruch und wie funktioniert Marginalisierung?
Im öffentlichen Raum entsteht ein neonpinkes Netzwerk, Installation in der Passage von Anja Sommer und Janna Schneewitta Rehbein, 2009 © Michaela Kirschning
Die Passage an der Karl-Marx-Straße bietet im Rahmen der 48 Stunden Neukölln immer wieder einen Fixpunkt für künstlerische Installationen. 2009 bot das von Anja Sommer und Janna Schneewitta Rehbein erdachte „Netzwerk“ Möglichkeiten zur Interaktion. Pinkfarbene Wollknäuel standen bereit und konnten von Passant*innen und Besucher*innen zu einem immer dichter werdenden Netz verwoben werden. Während der drei Festivaltage wurde das Netz immer komplexer und nahm schließlich den gesamten Innenhof der Passage ein.
Installation „Make More“ von Thilo Droste und Speed Foroghi in der Passage, 2017 © Thilo Droste
Mit „Make More“ haben Thilo Droste und Saeed Foroghi 2017 eine besondere Raumerfahrung konzipiert. Mit Hilfe von Umzugskartons wurde der Innenhof optisch geschlossen. Im Inneren wurden – unter Bezug auf die Neukölln prägende Gentrifizierung – Ergebnisse eines fingierten Architekturwettbewerbs ausgestellt, das denkmalgeschützte Bauensemble unterschiedlichsten Nutzungen zuzuführen. Passant*innen reagierten erstaunt auf die monumentale Installation, die ihre alltäglichen Wege durch die Passage neu lenkten. Jenen, die den Fake entschlüsselten, boten die Texttafeln einen ironischen Kommentar auf gewinnmaximierte Bauvorhaben. Andere diskutierten hitzig über drohende Umgestaltungen, bis sie auf den Spielcharakter aufmerksam gemacht wurden.
Dr. Martin Steffens, Kulturnetzwerk Neukölln e.V.
Ansprechpartner
Bezirksamt Neukölln
Stadtentwicklungsamt
Fachbereich Stadtplanung
Karl-Marx-Straße 83, 12040 Berlin
Tel. 030 – 90 239 2153
stadtplanung(at)bezirksamt-neukoelln.de
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen IV C 32
Anke Heutling
Württembergische Straße 6-7, 10707 Berlin
Tel.: 030 – 90 173 4914
anke.heutling@senstadt.berlin.de
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Richardstr. 5, 12043 Berlin
Tel.: 030 – 22 197 293
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