Straßen mit Zukunft
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #9 – 2022, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2022
Straßen mit Zukunft
Planungsziele für Boddin-, Rollberg- und Weichselstraße
Die städtebauliche Sanierung ist ein langfristiger Prozess, so dass die im Entwicklungskonzept festgelegten Maßnahmen nur Schritt für Schritt in Angriff genommen werden können. Die Maßnahmenziele müssen dazu überprüft und konkretisiert, bei Bedarf auch modifiziert werden. Mittlerweile werden so langsam die Planungen für die letzten Maßnahmen vorbereitet, die im verbleibenden Förderungszeitraum noch umgesetzt werden sollen. Im Fokus stehen vor allem die notwendigen Umbauten einiger Straßen und Fußwege im Quartier, die einen besonderen Erneuerungsbedarf haben und deren Ausgangslage wir im Folgenden kurz vorstellen. Für die ausführliche Erläuterung der einzelnen Ziele und Maßnahmen besuchen Sie gerne unsere Internetseite unter: www.kms-sonne.de.
Lage der Straßen im Sanierungsgebiet
Auf welcher Grundlage werden Ziele und Maßnahmen entwickelt?
Die Stadterneuerung bzw. Städtebauförderung ist eine Gesamtmaßnahme, die sich auf ein festgelegtes Gebiet in der Regel für einen Zeitraum von 15 Jahren bezieht. Bei der Entwicklung von Sanierungszielen und Einzelmaßnahmen werden Aspekte wie Wohnen, Verkehr, Umwelt und soziale Themen einbezogen.
Vor Beginn der Gesamtmaßnahme wurde ein Sanierungskonzept für das Gebiet erarbeitet. Daran haben zum einen die Fachabteilungen des Bezirks mitgewirkt, z. B. die Fachämter Jugend, Schule und Sport, das Straßen- und Grünflächenamt oder der Fachbereich Hochbau. Zum anderen wurde mit der Öffentlichkeit und den Betroffenen im Gebiet der Konzeptentwurf erörtert und diskutiert. Das Sanierungskonzept einschließlich eines Maßnahmenplans wurde 2011 mit der förmlichen Festlegung als Sanierungsgebiet beschlossen und zuletzt 2017 fortgeschrieben – wiederum unter Beteiligung der oben genannten Stellen und der Öffentlichkeit im Gebiet. Der Maßnahmenplan konzentriert sich auf die öffentlichen Investitionsmaßnahmen zum Ausbau und zur Erneuerung der Straßen, Plätze und Grünflächen sowie die kulturelle und soziale Infrastruktur, die im Zuge des gesamten Sanierungszeitraums mit öffentlichen Mitteln durchgeführt werden sollen.
Allgemeine Rahmenbedingungen
Die hier vorgestellten Straßen sind alle im grundlegenden Maßnahmenplan für das Sanierungsgebiet (Integriertes Stadtentwicklungskonzept – ISEK) enthalten. Zielsetzung für Straßenumbaumaßnahmen ist die barrierefreie fußgänger- und fahrradfreundliche Umgestaltung, die Verbesserung der Gestaltungs- und Aufenthaltsqualität sowie die Anpassung des Straßenraums an die Anforderungen des Klimawandels. Im Fokus der Maßnahmen stehen dabei sowohl die Fahrbahn als auch die Gehwegbereiche. Für alle Straßenumbaumaßnahmen sind frühzeitige und umfassende Beteiligungsphasen vorgesehen, in denen die Bedarfe und Vorstellungen der Anliegenden (Wohnbevölkerung, Gewerbetreibende, soziale Einrichtungen) abgefragt werden und in den Planungsprozess miteinfließen.
Baumscheiben sowie Pflasterung der Gehwege und Fahrbahnen müssen erneuert werden
Boddinstraße
Die Boddinstraße ist einerseits eine Wohnstraße und stellt andererseits eine Verkehrsverbindung zwischen der Karl-Marx-Straße und der Hermannstraße dar. An der Straße liegen als wichtige soziale Einrichtungen und Bildungseinrichtungen des Bezirks die Volkshochschule Neukölln und die Hermann-Boddin-Grundschule, deren Erschließung barrierefrei sein muss. Durch das Kopfsteinpflaster kann die Straße nur bedingt mit dem Fahrrad befahren werden. Eine fahrradfreundliche Umgestaltung sollte deshalb mitgedacht werden. Um insgesamt den Anforderungen Wohnen, Radverkehr und Barrierefreiheit bei einer Erneuerung der Straße gerecht zu werden, müssen alle Aspekte untereinander abgewogen werden.
Der Zustand der Boddinstraße wird den Anforderungen der Barrierefreiheit und des Radverkehrs derzeit nicht gerecht
Rollbergstraße
Entlang der Rollbergstraße finden sich sowohl Wohnnutzungen als auch gewerbliche Nutzungen. Insgesamt wird der vorhandene Straßenraum in seinem baulichen Zustand nicht den aktuellen Anforderungen gerecht. Die Rollbergstraße ist eine wichtige Erschließungsstraße für einige Schlüsselimmobilien im Zentrumsbereich der Karl-Marx-Straße. Das Kopfsteinpflaster mit Fugenverguss ist nur eingeschränkt fahrradfreundlich und es fehlen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Die Bebauung zwischen Karl-Marx-Straße und Hans-Schiftan-Straße wirkt aufgrund vieler fensterloser Fassaden abweisend. Weiter westlich wird das öffentliche Straßenland besonders in den Abendstunden von längeren Warteschlangen für die kulturellen Nutzungen belegt, was auch mit Lärmbelästigungen verbunden ist. Mit dem Neubau des BUND-Gebäudes wird dieser Abschnitt der Straße eine neue städtebauliche Fassung und Fassade erhalten. Für die Erneuerung der Rollbergstraße müssen der Schutz der Wohnfunktion und die Sicherung der verkehrlichen Erschließung der anliegenden Nutzungen abgewogen werden. Eine besondere Aufmerksamkeit bei der Maßnahmenkonzeption muss dem Eingangsbereich zum Kindl-Areal gewidmet werden.
Abweisende Fassaden entlang der Rollbergstraße
Weichselstraße (Abschnitt Pflügerstraße bis Karl-Marx-Straße)
Der Charakter der Weichselstraße hat sich in den letzten 10 Jahren deutlich verändert: Vormals eine ruhige Wohnstraße, ist sie heute mit ihrer großen Angebotsvielfalt und einer hohen Konzentration von Gastronomie und Läden auch ein beliebter Treffpunkt für die Nachbarschaft und Ziel für auswärtige Besuchergruppen. Die Vielzahl der gastronomischen Angebote sorgt zum einen für eine Belebung des Kiezes, zum anderen aber auch für einen hohen Nutzungsdruck: Dies ist vor allem am Zustand der Seitenbereiche (Gehwege, Baumscheiben) und an der Dichte der parkenden Fahrzeuge ablesbar. Vor allem die Fußwege sind stellenweise schadhaft und für das Nebeneinander von Fußverkehr und Sondernutzungen zu schmal; für Radfahrende sind das Kopfsteinpflaster sowie unübersichtliche Grundstücksausfahrten und Kreuzungsbereiche eine Gefahrenquelle. Fahrradbügel sind nur vereinzelt vorhanden. Beidseitig der Fahrbahn befinden sich teilweise lückenhafte Baumreihen (Linden); die Größe und der Zustand ihrer Baumscheiben sind stark verbesserungswürdig.
David Fritz
Karlson 9
Im KARLSON #9 – 2022, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee, können Sie wieder viele neue Entwicklungen im Sanierungsgebiet nachvollziehen. Wir stellen Ihnen das FORUM Karl-Marx-Straße / Sonnenallee ausführlich vor, in dem sich seit diesem Jahr regelmäßig zu den aktuellen Maßnahmen und Themen ausgetauscht wird. Als Schwerpunktthemen des Heftes beleuchtet diese Ausgabe darüber hinaus das Verhältnis von Milieuschutz und Klimaschutz und die Planungsziele für die Boddin-, Rollberg- und Weichselstraße, wirft einen Blick auf die Geschichte der Umgebung des Sportplatzes Maybachufer, erläutert die Rahmenbedingungen für den Beginn der Planungen für die Elbestraße und berichtet von den Entwicklungen auf dem ehemaligen Kindl-Gelände sowie der Neueröffnung des Mädchenzentrums „Szenenwechsel“ an der Donaustraße. Nachfolgend können Sie sich die einzelnen Artikel ansehen und herunterladen.
Stand November 2022
Vorrang für den Fuß- und Radverkehr
Durch ihre Breite von 26 Metern und ihren Alleecharakter mit baumbestandener Mittelpromenade stellt die etwa 450 Meter lange Elbestraße eine Besonderheit im Sanierungsgebiet dar. Weiterlesen…
Grußwort
Ich freue mich, Ihnen die 9. Ausgabe der Sanierungszeitung KARLSON für das Lebendige Zentrum und Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee vorstellen zu können. Weiterlesen…
Straßen mit Zukunft
Die städtebauliche Sanierung ist ein langfristiger Prozess, so dass die im Entwicklungskonzept festgelegten Maßnahmen nur Schritt für Schritt in Angriff genommen werden können. Weiterlesen…
Ins Gespräch kommen
Der Vorlauf für die Premiere war lang, pandemiebedingt musste der Start mehrfach verschoben werden. Aber im Januar 2022 war es endlich soweit. Weiterlesen…
Wie geht das zusammen?
Überflutete U-Bahntunnel nach einem Starkregen, kranke Straßenbäume durch Trockenheit, weicher Asphalt im Hochsommer, graue Weihnachten. Weiterlesen…
Spurensuche am Maybachufer
Ein Förderprojekt im Sanierungsgebiet der nächsten Jahre wird die Weiterentwicklung des Sportplatzes Maybachufer sein. Ein Anlass für uns, wieder auf Spurensuche im Sanierungsgebiet zu gehen – denn die Geschichte des Straßenblocks zwischen Maybachufer, Weichsel-, Pflüger- und Pannierstraße, in dem der Sportplatz liegt, ist bewegt. Weiterlesen…
Wo Mädchen Raum finden
Der Szenenwechsel ist derzeit die größte und einzige Berliner Jugendeinrichtung nur für Mädchen in bezirklicher Trägerschaft. Sie wird im Oktober 30 Jahre alt. Weiterlesen…
Altlastenerkundung im Boden
Viele, die den Sportplatz zwischen Maybachufer und Pflügerstraße nutzen oder im Vorbeigehen mal auf das Gelände schauten, haben sich vielleicht schon über die großen Rasenflächen, die weitgehend ungenutzt daliegen, gewundert oder sogar geärgert. Weiterlesen…
Neue Aufenthaltsqualität
Die Bauarbeiten zur Umgestaltung des Wildenbruchplatzes wurden bereits im letzten Herbst abgeschlossen. Seit diesem Frühjahr und Sommer kann man die neuen Qualitäten nun richtig nutzen und genießen. Weiterlesen…
Wenn alles zusammenkommt
Was haben ein Gesundheits- und Stadtteilzentrum, zirkuläres Bauen, Sozialunternehmertum, Clubkultur, Nachbarschaftsinitiativen, globales Engagement, die Umsetzung von nachhaltig-innovativen Nutzungen und Bauweisen gemeinsam? Weiterlesen…
Umbau zur Fahrradstraße schreitet voran
Die Weserstraße wird derzeit zur Fahrradstraße umgestaltet: über den schon länger bestehenden Abschnitt westlich der Pannierstraße hinaus in voller Länge bis zur Ederstraße / Sonnenallee. Weiterlesen…
Update zum Neubau des Blueberry Inn
Bereits seit Februar dieses Jahres führt durch den Block zwischen Karl-Marx-Straße und Reuterstraße ein neu angelegter und nachts beleuchteter öffentlicher Weg. Weiterlesen…
Planänderung bei der Baumaßnahme Elbe-Schule
Nach Fertigstellung des Mehrzweckgebäudes im letzten Jahr sollte im Frühjahr eigentlich der zweite Bauabschnitt mit der Aufstockung des Gebäudeflügels an der Elbestraße beginnen. Weiterlesen…
Ein Kunstfestival als Botschafter Neuköllns: 48 Stunden Neukölln
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Ein Kunstfestival als Botschafter Neuköllns:
48 Stunden Neukölln
48 STUNDEN NEUKÖLLN verwandelt den Bezirk einmal im Jahr in ein künstlerisches Experimentierfeld. Es ist ein Forum für künstlerische Projekte aller Sparten der Berliner Kunstszene und hat sich seit der Gründung 1999 als Berlins größtes freies Kunstfestival etabliert.
Das Festival wurde vom Verein Kulturnetzwerk Neukölln e. V. gemeinsam mit den damaligen Kulturakteuren (Neuköllner Oper, die kommunalen Galerien, Werkstatt der Kulturen u. v. m.) unter anderem auch als Antwort auf den Spiegel-Artikel 1997 „Endstation Neukölln“ von Peter Wensierski ins Leben gerufen. Im Rahmen einer Zukunftswerkstatt im Jahr 2012 verdichtete und fokussierte sich 48 STUNDEN NEUKÖLLN zu einem Kunstfestival unter einem jährlichen thematischen Schwerpunkt. Das Kunstfestival fand bis 2021 mit 250 bis 300 inhaltlichen Festivalbeiträgen und einem lokalen Programm statt. Zum nächsten Festival im Jahr 2022 gründet sich ein neues Kernteam, das die Strukturen des Festivals hinterfragen möchte.
Aushang, Installation und Soundperformance in der Fontanestraße von Daniel Hölzl und Jonas Höschl, 2021, © Christof Gebhardt
Transparenz und lokale Intiative
Das Festival basiert auf der gemeinsamen Initiative und Teilhabe von Künstler*innen, Besucher*innen und Anwohnerschaft. Diese sind eine wichtige Grundlage für den Erfolg der Gesamtveranstaltung. Neukölln als Festivalstandort zeichnet sich durch besondere Charakteristiken aus. In und für Neukölln entstehen Kunstprojekte, die ihre Inspiration aus den lokalen Lebensrealitäten, der vorhandenen Diversität und der besonderen Demografie beziehen. Die Dichte an nicht-kommerziellen und experimentierfreudigen Projekträumen, Initiativen und Galerien bildet den Grundstein für das jährliche Festivalprogramm. Damit gibt es hier auch im Vergleich zu anderen Berliner Stadtteilen ein großes Potenzial, die urbanen Räume zu öffnen und künstlerisch zu bespielen. Diese Besonderheiten nimmt das neue Festival-Kernteam, bestehend aus alten und neuen Kolleg*innen, auf. Das Festival möchte mit Hilfe der diversen Akteure hinterfragen, wie ein zeitgenössisches Kunstfestival mit lokalem Mehrwert arbeitet, sich gestaltet, sich repräsentiert und aussieht. Dies bezieht sich unter anderem auf bestehende Strukturen, Arbeitsprozesse, kuratorische und organisatorische Praktiken.
Dematerialization is coming, Installation und Performance in der Neuköllner Passage von Anton Steenbock, 2019, © Jörg A. Fischer
Internationale Wirkkraft
Die künstlerischen Arbeiten bei 48 STUNDEN NEUKÖLLN wirken als Impulse weit über Berlin-Neukölln hinaus, beziehen Stellung zu gesamtgesellschaftlichen Fragen und fördern einen nachhaltigen Austausch mit der internationalen Kunstszene. Dieses Jahr reiste das Festivalformat nach Novosibirsk, sodass vom 17.–19.9.2021 48 STUNDEN NOVOSIBIRSK bereits zum zweiten Mal unter dem diesjährigen Thema „Survival Bias“ stattfand. Mit den Erfahrungen aus Neukölln wurde zusammen mit dem ansässigen Goethe-Institut und dem Kunstzentrum ZK19 das partizipative und dezentrale Festivalformat an die besonderen Strukturen von Novosibirsk angepasst und zum eigenen Kunstfestival entwickelt. In zwei Tandemprojekten gingen Künstler*innen aus Novosibirsk und Neukölln in den direkten Austausch. Nächstes Jahr werden Künstler*innen aus Novosibirsk nach Neukölln reisen und hier eine Ausstellung mit ihren Positionen realisieren.
Auch die Kooperation mit dem dänischen Kunstfestival „Trekant-Fest“ konnte 2021 wieder erfolgreich aufgenommen werden. Die Künstler Daniel Hölzl und Jonas Höschl reisten mit der Installation und Soundperformance „Aushang“ (siehe Foto links) an drei Orte in Dänemark. In der Installation ist zu sehen, wie das Innere eines Neuköllner Wohnzimmers nach außen gestülpt wird. Unterstützt wird die permanente Installation mit einer Soundperformance, basierend auf dem Dokumentarfilm „Gropiusstadt – Ist alles Kacke hier!“ (1990) von Eberhard Weißbart.
Zerrissen in der Zeit, Videoprojektionen und Live Performance mit der Tanzcompagnie Puls’Art aus Montpellier, Nikodemus Kulturkirche 2019, © Jens Ferchland
Gesamtgesellschaftlicher Bezug
In 48 Stunden zeigt Kunst, dass sie mehr ist als Exponate in Galerien und Museen: Sie verbindet, konfrontiert, kommuniziert, hat ein Anliegen. Diskursive, partizipative und interdisziplinäre Ansätze stehen daher im Vordergrund. Zugleich liegt der Fokus auf künstlerischen Positionen, die sich mit der Kunst selbst auseinandersetzen – mit ihren Produktionsbedingungen, Verfahrensweisen und sozialen Funktionen. Auf dieser breiten Basis an künstlerischen Ausdrucksformen öffnet sich das Festival für das Zeitgenössische und Politische in der Kunst.
Ein Blick nach vorn
Um die Qualität des Festivals aufrecht zu erhalten und den Anschluss an das gegenwärtige und zukünftige Neukölln nicht zu verpassen, fragen wir: Wie sieht ein zeitgenössisches Kunstfestival aus? Welche Zielgruppen werden durch welche Projekte und Formate erreicht? Wie können wir die lokale Kunst- und Kulturszene stärken? Welchen lokalen Mehrwert kann das Festival bieten? Wie möchten wir Neukölln prägen? Die Fragen richten sich zum einen an uns als Festivalteam, aber auch an die lokale Kunst- und Kulturszene. Wir freuen uns auf den Austausch vor, während und nach dem Festival 2022.
Sharmila Sharma, Kulturnetzwerk Neukölln e.V.
Post-Corona: Wie entwickeln wir die Innenstädte der Zukunft?
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Post-Corona: Wie entwickeln wir die Innenstädte der Zukunft?
Was trägt die Zentren aus der Krise? Eins scheint trotz aller Unsicherheiten immer klarer zu werden: eine gute Angebotsmischung, die die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, und die Zusammenarbeit aller Akteure im Zentrum sind wichtige lokale Potenziale, die Zentren als städtische Mittelpunkte zu stärken und die wirtschaftliche Situation für Handel, Dienstleistung und Kultur zu verbessern. Zur Zukunft der innerstädtischen Zentren nach der Pandemie ein Gespräch mit Paul Gallep vom Planungsbüro LOKATION:S.
Herr Gallep, die Pandemie hat viele innerstädtische Zentren in die Krise gestürzt. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Paul Gallep: In den Innenstädten ist während der Pandemie (2020) der Umsatz um 20 % eingebrochen, die Besucher-Frequenz ist sogar um 33 % zurückgegangen. Der Zuwachs des Online-Handels lag gleichzeitig bei 30 % (IFH Köln, 2021). Vieles wird sich erst in der nächsten Zeit zeigen. So ist die Zahl der pandemiebedingten Pleiten noch nicht abzusehen. Derzeitige Trends und Treiber der Entwicklung sind unter anderem die Mobilitätswende, die Digitalisierung und der Klimawandel. Das sind Themen, die auch vor der Pandemie schon aktuell waren, aber noch einmal wie unter einem Brennglas verstärkt wurden.
Wie beurteilen Sie die Situation des Zentrums Karl-Marx-Straße?
Die Karl-Marx-Straße ist wie viele Zentren schon lange nicht mehr nur ein Ort des Einkaufens und des Handels. Das ist positiv. Die Angebotsvielfalt ist entscheidend für das Funktionieren der Zentren auch nach der Krise. Gibt es Kinos, Theater, Kultur? Kann ich hier Freunde treffen? Finde ich hier Ärzte und Beratungsstellen? Das alles trifft auf die Karl-Marx-Straße zu. Gleichzeitig wird durch den Umbau der Aufenthalt im öffentlichen Raum der Straße attraktiver. Dazu gehört der Alfred-Scholz-Platz, auf dem sich die Menschen treffen und zu normalen Zeiten auch feiern können. Im Zentrum Karl-Marx-Straße wohnen viele Menschen. Dies sorgt für lokale Nachfrage und führt zu einer Belebung des öffentlichen Raums auch außerhalb der Geschäftszeiten. Die Karl-Marx-Straße hat also erstmal ganz gute Voraussetzungen für die Bewältigung der Krise. Umgekehrt braucht es aber weiterhin besondere Angebote, die sowohl auf die Interessen der direkten Nachbarschaft als auch auf die der Gäste des Zentrums zielen.
Neue Aufteilung des Straßenraums mit mehr Platz für Fuß- und Radverkehr, © Susanne Tessa Müller
Wonach richtet sich die Entwicklung des Zentrums?
Die Leitbilder haben sich sehr gewandelt. In den 1950er und 1960er Jahren plante man die autogerechte Stadt. Mit dem steigenden Verkehr in den Innenstädten wurden die Zentren mehr und mehr zu Transiträumen für den Verkehr. Eine Hauptattraktion war das Warenhaus, das das „Haus“ zum Kristallisationspunkt der Kauf-Angebote machte und weniger das Zentrum insgesamt. Mittlerweile ist man zurückgekehrt zur „Stadt der kurzen Wege“, der Förderung der Nutzungsmischung sowie der Entwicklung attraktiver öffentlicher Räume. Strategisch rückt die Anpassungsfähigkeit der Städte immer mehr in den Mittelpunkt, um z. B. auf den Klimawandel oder weitere Krisen wie eine Pandemie besser reagieren zu können (siehe „Neue Leipzig Charta, 2020“). Der stationäre Handel spielt weiterhin eine wichtige Rolle. Es wird aber immer bedeutender werden, kreative Geschäftsmodelle umzusetzen. Das kann z. B. eine Kombination von Nutzungen sein, über die die Kosten querfinanziert werden. Diejenigen, die die Zentren gestalten, müssen sich fragen: für wen ist das Zentrum da und wem werden Angebote gemacht? Dabei lohnt es sich, aus der Perspektive der Nutzenden zu schauen: fährt z. B. jemand nach der Arbeit im Zentrum sofort nach Hause oder gibt es auch nach 18 Uhr noch etwas, das sie bzw. ihn dort hält. Was sind Orte für Familien, ältere Menschen und andere Zielgruppen?
Was sind mögliche Instrumente, die Innenstädte bzw. Zentren wieder attraktiver zu machen?
Sehr sinnvoll ist es, die Erdgeschosszonen in den Blick zu nehmen. Diese haben eine wichtige Funktion für die Belebung der Innenstädte und sind die „Bühne“ der Innenstadt. Es gibt aktuell erste Pilotvorhaben, die Gestaltung bzw. Vermietung der Erdgeschosszonen zu kuratieren. Das heißt, es wird eine koordinierte Vermietung der Erdgeschossflächen vorgenommen und damit eine Angebotsmischung gefördert. Zu diesem Zweck müssen neue Kooperationen gebildet werden.
Kultureinrichtungen beleben das Zentrum, © BSG
Im Zentrum ballt sich zunehmend der Verkehr. Der Platz dafür bleibt aber begrenzt. Wieviel Verkehr ist gut für das Zentrum?
Die Mobilitätswende ist meiner Meinung nach unaufhaltsam. Autofahrende werden längerfristig das Zentrum nicht mehr so stark wie früher als Transitraum nutzen. Ich bin optimistisch, dass sich auch durch die neue Aufteilung des Straßenraums der Karl-Marx-Straße positive Effekte ergeben. Durch die Pandemie hat der Radverkehr deutlich zugenommen. Eine aktuelle Umfrage am Kottbusser Damm und an der Hermannstraße zeigt, dass 91 % der Umsätze in den lokalen Geschäften durch jene kamen, die zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem ÖPNV unterwegs waren (IASS Potsdam, 2020). Die Umsetzung von Konzepten für die Verknüpfung der Verkehrsströme im Umweltverbund (Rad, Fuß, ÖPNV) wird den Zentren guttun und gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Welche Akteure müssen für eine positive Veränderung des Zentrums zusammenwirken?
Stadt- und Bezirksverwaltung kommt die Aufgabe zu, die grundsätzlichen Entwicklungsprozesse in den Zentren zu steuern und zu moderieren. Dabei ist die enge Zusammenarbeit mit den privaten Anbietern – sei es Handel, Gewerbe, Dienstleistung oder Kultur – sehr wichtig. Eine wesentliche Rolle nehmen auch Akteursgruppen wie die Lenkungsgruppe der [Aktion! Karl-Marx-Straße] ein. Diese beraten und bewerten die Entwicklungen aus zivilgesellschaftlicher Sicht und spiegeln dies der Verwaltung wider. Grundsätzlich sollte von allen Seiten Initiative für das Zentrum ergriffen werden. Dabei braucht es auch Experimentierräume für das Ausprobieren neuer Geschäfts- und Finanzierungsmodelle, denn Private gehen mit neuen Ideen oft ein hohes ökonomisches Risiko ein. Auch die Eigentümerinnen und Eigentümer der Flächen sind extrem wichtige Akteure. Sie sollten bei der Vermietung prüfen, was die Menschen in den Zentren wollen und brauchen und sich nicht nur von der höchsten erzielbaren Miete leiten lassen. Auf der Nachfrageseite sind auch die Anwohnenden wichtige Player, die die Entwicklung des Zentrums beeinflussen. Auch sie brauchen Möglichkeitsräume zur Mitgestaltung. Für die Steuerung der Entwicklung muss also viel kommuniziert und zusammengebracht werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Stephanie Otto, raumscript
Paul Gallep
Foto: Linda Dudacy
Paul Gallep ist Stadt- und Regionalplaner und in verschiedenen Themenfeldern der Stadtentwicklung tätig. Als Projektmitarbeiter bei LOKATION:S Partnerschaft für Standortentwicklung umfassen seine Arbeitsbereiche die Erstellung von stadtplanerischen Entwicklungskonzepten, die Konzeption und Umsetzung von Strategien der Standortentwicklung sowie die anwendungsbezogene Forschung und Bürgerbeteiligung.
Gesundheitsstandort Karl-Marx-Straße
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Gesundheitsstandort Karl-Marx-Straße
Neben dem Einzelhandel, der Gastronomie und den Kulturstandorten sind die Gesundheitseinrichtungen ein prägender Bestandteil der Angebote im Zentrum Karl-Marx-Straße und damit ein großes lokales Potenzial. Ein Blick auf die Standort-Karte macht diese Vielzahl und Vielfalt schnell deutlich.
Die Gesundheitseinrichtungen ballen sich besonders an Standorten der vorhandenen Ärztehäuser entlang der Karl-Marx-Straße. Aber auch abseits davon finden sich hier viele Einrichtungen des Gesundheitssektors. Hierzu zählen neben einzelnen Arztpraxen auch Apotheken und sonstige Gesundheitsdienstleistungen, wie Beratungsstellen oder Pflegeeinrichtungen. Um die Herausforderungen und Potenziale des Gesundheitsstandorts Karl-Marx-Straße für die weitere Entwicklung des Sanierungsverfahrens zu beleuchten, fand am 8. September 2021 im Rahmen des „Treffens der [Aktion! Karl-Marx-Straße]“ eine Podiumsdiskussion mit Akteuren aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern des Gesundheitssektors statt.
Auf die Anforderungen bei der Verteilung und Niederlassung von Arztpraxen ging Dr. Sebastian Schwintek von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin ein. Das Niederlassungsverfahren für die Vertragsärzte und -ärztinnen der Kassenärztlichen Vereinigung folgt einer festgelegten Bedarfsplanung, die allerdings auf ganz Berlin ausgerichtet ist. Daraus ergibt sich für die gesamte Stadt ein Versorgungsgrad von über 110 Prozent. In der Folge wurden im „Zulassungsbezirk“ Berlin für die einzelnen Arztgruppen fast durchgängig Zulassungsbeschränkungen angeordnet. Auch die Versorgung in Neukölln wird überwiegend als gut eingeschätzt. Hiervon ausgenommen ist jedoch die fachärztliche Versorgung durch Kinder- und Jugendärzte, Augenärzte, Gynäkologen und Dermatologen. In diesen Bereichen liegt eine Unterversorgung vor. Neuzulassungen oder Nachbesetzungen von Arztpraxen stehen derzeit oft vor dem Problem, dass Einrichtung und Ausstattung der vorhandenen Räumlichkeiten nicht den Anforderungen moderner Arztpraxen entsprechen. Hier wäre es wichtig, dass Eigentümerinnen und Eigentümer stärker die Bedürfnisse der Ärzteschaft und weiterer Gesundheitseinrichtungen in den Blick nehmen.
Die Storch-Apotheke Ganghofer- / Richardstraße, © Bergsee, blau
Dr. Rainer Gebhardt konnte als langjährig praktizierender Facharzt an der Karl-Marx-Straße einen Einblick in den Praxisalltag in Nord-Neukölln geben. Er hob die gute Zusammenarbeit der Ärzteschaft bzw. der Facharztpraxen in Neukölln hervor – ein großer Wert und Standortfaktor für die Karl-Marx-Straße. Dies wird auch durch den aktuell verstärkten Zuzug jüngerer Ärztinnen und Ärzte bestätigt.
Die Perspektive der Immobilienwirtschaft wurde von Daniel Bormann, Geschäftsführer der Berliner REALACE GmbH, vertreten. Er wies darauf hin, dass dem Thema Gesundheit bei der Entwicklung von Immobilien zukünftig ein viel höherer Stellenwert eingeräumt werden sollte. Auch wenn die weitere Entwicklung in den Stadtzentren nach der Corona-Pandemie noch nicht genau abzuschätzen sei, ist schon jetzt viel Leerstand im Bereich des Gewerbes festzustellen. Davon ausgenommen sind jedoch Arztpraxen und Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung. Diese seien eher krisenfest und ihre Vermietung deshalb vorteilhaft. Für Daniel Bormann könnte das neue Leitbild für das Zentrum sogar heißen: „Die Karl-Marx-Straße – von der Konsumstraße zur Gesundheitsstraße“. Darin sollten jedoch nicht nur die Versorgung im Falle von Krankheiten, sondern auch Angebote der Prävention und zur gesunden Lebensweise (bspw. Fitnessstudios) inbegriffen sein.
Gesundheitseinrichtungen eng beisammen, © Bergsee, blau
Dirk Faulenbach, Fachbereich Stadtplanung, erläuterte die Sicht der Bezirksverwaltung und die entsprechenden Sanierungsziele für die Zentrumsentwicklung. Vielfach würde ein Arztbesuch im Zentrum mit einer Shopping- bzw. Erlebnis-Tour verbunden. Die Gesundheitseinrichtungen im Zentrum ergänzen somit nicht nur die Angebotsbreite in der Karl-Marx-Straße, sondern sie tragen auch zur Belebung der Straße und zu einer höheren Kundenfrequenz im Einzelhandel bei.
Einen besonders innovativen Ansatz brachte Michael Janßen mit dem Projekt „Stadtteilgesundheitszentrum“ ein. Das Projekt wird sich im Gebäude ALLTAG auf dem Kindl-Areal ansiedeln. Es möchte mithilfe eines breit angelegten Netzwerks lokaler Gesundheitseinrichtungen und -akteure nicht nur einen Beitrag zu einer stabilen Gesundheitsversorgung für alle Menschen leisten, sondern auch partizipativ auf die alltäglichen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten eingehen. Dazu sollen soziale Faktoren wie Themen des Wohnens, der Bildung, Arbeit und Partizipation und ihre Wechselwirkungen mit der individuellen Gesundheit der Menschen berücksichtigt werden.
Die Diskussion zeigte insgesamt, dass die Karl-Marx-Straße aufgrund der vorhandenen Angebote und des gewachsenen Akteursnetzwerks für die medizinische Versorgung der Bewohnerschaft Neuköllns (und darüber hinaus) einen sehr wichtigen Standort darstellt. Um den Gesundheitsstandort weiter stärken zu können, wird das Handeln von Eigentümern und Eigentümerinnen sowie der Projektentwicklungen umso wichtiger. Sowohl bei Neubauvorhaben als auch bei der Sanierung von Bestandsbauten sollten immer auch die Bedarfe von Arztpraxen und Gesundheitseinrichtungen geprüft werden. Die Stärkung des Gesundheitsstandorts Karl-Marx-Straße könnte somit eine Win-Win-Situation herstellen. Mit der Ansiedlung von Gesundheitseinrichtungen wird nicht nur ein Mehrwert für die umfängliche medizinische Versorgung der Neuköllner und Berliner Bevölkerung geschaffen; angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie bietet die Integration von Gesundheitseinrichtungen viele Potenziale für eine nachhaltige Zentrenentwicklung. Aus diesem Grund sollten Verwaltung, Eigentümerinnen und Eigentümer sowie die weiteren Akteure entlang der Karl-Marx-Straße im weiteren Sanierungsverfahren verstärkt und gemeinsam die Bedarfe der Gesundheitseinrichtungen berücksichtigen.
David Fritz, BSG
Die Welt in Neukölln
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Die Welt in Neukölln
Das Zentrum Karl-Marx-Straße ist die Heimat für viele Kulturen. Die multikulturelle Atmosphäre zieht Gäste und die Nachbarschaft gleichermaßen an, macht ihnen Angebote und strahlt zurück in die Welt. Ein herausragendes lokales Potenzial, wie die nachfolgenden Porträts deutlich machen.
Grillhaus Örnek Lahmacun
Karl-Marx-Straße 123
2019 hat das Grillhaus Örnek Lahmacun in der Karl-Marx-Straße 109 seine Türen geöffnet. Der Geschäftsinhaber Mehmet Özkan – als Kind aus der Türkei nach Deutschland gekommen – hat bereits früher in Neukölln gelebt und gearbeitet. Als die Idee des Grillhauses stand, war für ihn schnell klar, dass die „Hauptstraße Neuköllns“ der Standort seines Geschäftes werden muss: „Wo sonst!?“.
Geschäftsinhaber Mehmet Özkan (rechts im Bild) mit einem Mitarbeiter, © Tania Salas, raumscript
Nach einer Weile im Lokal sitzend offenbart sich einem das vielfältige Publikum, das ein- und ausgeht – alle von der anatolischen Küche angelockt. So zählen u. a. Menschen mit arabischen, osteuropäischen und asiatischen Wurzeln zu seiner treuen Kundschaft. Auf der Karte stehen allerlei traditionelle Gerichte wie bspw. Rote Linsensuppe, Pansen- und Lammkopfsuppe sowie der Kichererbsenteller. Zu den Köstlichkeiten vom Grill gehören z. B. der Lamm- und der Leberspieß. Am häufigsten wird jedoch das berühmte Lahmacun (türkische Pizza) bestellt.
Im kleinen Familienzimmer, in dem früher geraucht wurde, treffen sich heute überwiegend junge Mütter mit ihren Kindern. Ebenso werden in dem Raum besondere Anlässe wie bspw. Geburtstage gefeiert. Das Familienzimmer und die weiteren 50 Sitzplätze des Grillhauses standen allerdings zum Höhepunkt der Corona-Pandemie leer – für Mehmet Özkan die „schlimmste Zeit“. Er suchte nach Wegen, das Geschäft am Laufen zu halten und die pandemische Zeit finanziell zu überleben. Es entstand eine Kooperation mit einem Lieferdienst, die weiterhin besteht – auch wenn die Gäste inzwischen wieder an den Tischen essen dürfen.
Jemenitisches Restaurant
Karl-Marx-Straße 172
Wahrscheinlich haben Sie schon einmal von den bis zu neun Etagen hohen Lehmhochhäusern im Jemen gehört. Können Sie aber etwas mit der jemenitischen Küche verbinden? Diese Küche hat sowohl arabische als auch indische Einflüsse. Auch wenn sie noch nicht offiziell zum Weltkulturerbe gehört, ist sie trotzdem einzigartig. Und: Sie können sie an der Karl-Marx-Straße in einer sehr familiären Atmosphäre genießen. Sie haben zur Auswahl viele verschiedene traditionell zubereitete Fleischgerichte aus allen Regionen des Jemen, Ratib-Brot mit Ghee-Öl und Schwarzkümmel sowie viele verschiedene vegetarische Eintopfgerichte.
Restaurantbetreiber Abdulrahman Hamood, © Tania Salas, raumscript
Der Restaurantbetreiber Abdulrahman Hamood kam 2003 zum Studieren nach Deutschland – und blieb. In seiner Freizeit begann er sich mit der traditionellen Zubereitung von Mandy-Lamm zu beschäftigen. Der IT-Spezialist baute in seinem Garten einen unterirdischen Steinofen und probierte allerlei Gerichte aus seiner Heimat aus. In Berlin gab es bis dahin kein Restaurant, das jemenitische Küche anbot. Er entschloss sich, seine neu entwickelte Leidenschaft auch beruflich auszuleben. Der Neuköllner Standort war schnell gefunden. Das Restaurant hat Abdulrahman Hamood selbst mitgestaltet. Die größte Hürde war es allerdings, in der jemenitischen Küche spezialisiertes Personal zu finden – die ersten vier Köche standen dann nach über einem Jahr Suche wie ein Geschenk einfach vor der Tür.
Die Eröffnung des Restaurants 2019 war ein großer Erfolg. Schnell hatte es sich herumgesprochen und mittlerweile kommen viele neugierige Gäste mit verschiedenen kulturellen Hintergründen aus der Umgebung und anderen Stadtteilen ins Restaurant. Dank einer schnellen Anpassung und der Nutzung von Lieferdiensten konnte das Restaurant auch die bisherige Corona-Pandemie überleben.
Die deutSCHule
Karl-Marx-Straße 107
Die deutSCHule holt die Welt nach Neukölln und transportiert Neukölln in die Welt. Das Angebot der Sprachschule richtet sich an junge Menschen aus aller Welt, die ein Studium im deutschsprachigen Raum beabsichtigen, aber auch das spezielle Berliner Flair miterleben möchten, erläutern Johannes Boßhammer und Franziska Schmidt. Mit dem Ziel, eine etwas andere Sprachschule zu werden, wurde die deutSCHule vor zehn Jahren gegründet und zog in das ehemalige Bankgebäude am Alfred-Scholz-Platz ein. Seitdem wächst die Schule mit dem Stadtteil mit.
Johannes Boßhammer und Franziska Schmidt, © Tania Salas, raumscript
Die Schule beschäftigt sich seit 2017 auch verstärkt mit gesellschaftspolitischen Themen, positioniert sich klar als antirassistisch und feministisch und möchte einen sicheren Raum für queere Lebensweisen und für das Anderssein bieten. Mit der Nachbarschaft bestehen einige Kooperationen, die die Inhalte der Sprachkurse sehr bereichern, u. a. mit verschiedenen Fachgeschäften oder mit religiösen Einrichtungen wie der Neuköllner Dar as-Salam-Moschee. Im akademischen Bildungsbereich kooperiert die deutSCHule u. a. mit der Humboldt-Universität zu Berlin im Rahmen des Zertifikatsstudiums „Deutsch im Mehrsprachigkeitskontext“. Kunstgenuss ist ein weiteres Anliegen der Sprachschule. Kunstschaffende Schülerinnen und Schüler und Ehemalige können ihre Kunst für ein halbes Jahr in den Räumlichkeiten der Schule ausstellen. Ihre Werke regen immer wieder zum Nachdenken an.
Die Herausforderungen der Corona-Pandemie waren für die deutSCHule hauptsächlich eine große Chance. Mit dem neu geschaffenen Online-Angebot werden nun Menschen überall auf der Welt erreicht – Menschen, die bereits in ihren Heimatländern nicht nur die deutsche Sprache erlernen, sondern auch ein reales Bild vom Leben in Deutschland und speziell von Neukölln vermittelt bekommen wollen.
Texte: Tania Salas, raumscript
Karl-Marx-Straßen anderswo
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Karl-Marx-Straßen anderswo
Nomen est Omen: Mit Namen verbinden wir bestimmte Eigenschaften und Vorstellungen. Sie sind Teil einer Identität und prägen uns ein Leben lang. Das gilt auch für Straßennamen, wie viele aktuelle Debatten um Umbenennungen unterstreichen. Straßennamen sind täglich im Gebrauch und haben damit eine besondere Wirkung auf die Öffentlichkeit. Sie sind Adressen von Menschen, Geschäften, Einrichtungen – wie die Karl-Marx-Straßen in Neukölln und anderswo.
Im Mittelalter waren Straßennamen nur Orientierungshilfen. Oftmals beschrieben sie bloße Merkmale einer Straße (breit, schmal, kurz). Sie verorteten wichtige Gebäude wie Kirchen und Rathäuser, zeigten an, wo bestimmte Handwerker zu finden waren (Gerber, Metzger, Tischler, …) oder wiesen in die Richtung eines Fernziels, um die fremden Reisenden auf den richtigen Weg aus dem Ort zu schicken (Potsdamer Chaussee, …). Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden Straßennamen als Kommunikationsmittel entdeckt, um Geisteshaltungen zu transportieren, wichtige Persönlichkeiten zu ehren oder historische Ereignisse zu würdigen. Dies war entsprechend der Zeiten mal mehr, mal weniger politisch.
Die 1,3 Kilometer lange und ländlich geprägte Karl-Marx-Straße in Schipkau in der Niederlausitz. © Che Seibert
Schaut man mit Unterstützung einer Datenbank von ZEIT online (interactive.zeit.de/strassennamen) auf Deutschlands Straßen, werden interessante Muster deutlich. So befindet sich von den bundesweit gelisteten 181 Benennungen nach dem Herrschergeschlecht der Hohenzollern nur eine entsprechende Straße auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Ebenso gibt es hier nur noch sehr wenige Kaiser- und Königsstraßen. Die Karl-Marx-Straßen konzentrieren sich hingegen eindeutig im Osten – hier vor allem rund um Berlin, in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Wenngleich deutlich weniger, tragen aber auch Straßen im Westen Deutschlands den Namen von Karl Marx – selten allerdings an so zentraler Stelle wie in Neukölln.
In Heilbronn beginnt sie als grüne Wohnstraße und geht in die industriell geprägte Karl-Marbach-Straße über. © Che Seibert
In Bad Freienwalde erhielt eine historische Straße von 1724 im Jahr 1953 den Namen von Karl Marx. © Che Seibert
In Deutschland gibt es laut ZEIT-Datenbank 402 Karl-Marx-Straßen, 484 Straßen und Plätze sind insgesamt nach ihm benannt. Andere Zählungen gehen sogar von noch mehr aus. Berlin kommt auf drei Bezeichnungen. Mit dem Karl-Marx-Platz und der Karl-Marx-Straße liegen zwei davon in Neukölln. Ausgangspunkt hierfür war wohl die Anordnung des Magistrats von West-Berlin im Jahr 1945, Straßen mit nationalsozialistischen und wilhelminischen Namen umzubenennen. Bei der ersten Neuköllner Wahl nach dem Krieg im Oktober 1946 wurden die Sozialdemokraten stärkste politische Kraft. Sie gaben dem Hohenzollernplatz und der Bergstraße den Namen von Karl Marx als eine Art politisches Bekenntnis. Der Name ist bis heute geblieben.
Stephanie Otto, raumscript
Die Karl-Marx-Straße in Hanau ist eine Anliegerstraße mit vielen Bauten aus den 1950er Jahren und liegt östlich der Kernstadt im Lamboyviertel. © Che Seibert
Che Seibert, Fotograf aus Wuppertal, startete das Karl-Marx-Projekt zum Gedenken an Karl Marx, dessen Geburtstag sich am 5. Mai 2018 zum 200. Mal jährte. Seine digitale Sammlung umfasst neben Straßen und Plätzen auch Denkmäler, Schulen und Gebäude sowie Links zu Einrichtungen oder Stiftungen. Seit 2018 beschäftigt sich Che Seibert fotografisch auch mit dem öffentlichen Gedenken an Friedrich Engels.
Die Helene-Nathan-Bibliothek: Ein Ort des Lernens und der Inspiration
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Die Helene-Nathan-Bibliothek:
Ein Ort des Lernens und der Inspiration
So vielfältig wie Neuköllns Norden spiegelt die Helene-Nathan-Bibliothek mit ihren unterschiedlichen Angeboten und dem abwechslungsreichen Programm die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen hier wider und bereichert den Kiez. Mit der Kinder-, Jugend-, Musik- und Erwachsenenbibliothek bedient dieser besondere Ort viele Interessen und ist ein wichtiger Ort der kulturellen, digitalen und sozialen Teilhabe im Zentrum Karl-Marx-Straße. So finden sich auch die vielen verschiedenen in Neukölln gesprochenen Sprachen im Bestand der Bibliothek wieder.
Der wunderschöne Blick auf die Dächer der Stadt rundet jeden Besuch in der Helene-Nathan-Bibliothek ab. Auf zwei Etagen finden Kinder, Jugendliche und Erwachsene Arbeitsplätze für Hausaufgaben, Präsentationen, Weiterbildung und Leseplätze zum Schmökern.
Die Kinderabteilung bietet zahlreiche Medien und Angebote für Familien und Kinder bis zur 7. Klasse an. Vom Bilderbuch bis zu Erstlesebüchern, TipToi-Stiften und –Büchern sowie Tonie-Figuren finden alle, was ihr Herz begehrt. Ein Vortrag über das Meerschweinchen steht an? Der Papa möchte eine Geschichte auf Russisch vorlesen? Der Großvater möchte für die Autofahrt mit den Enkeln ein paar Hörspiele ausleihen? Kein Problem: rund 47.000 Medien stehen in der Kinderabteilung zur Verfügung. Mit Angeboten wie „Bücher in Bewegung“, Medienkisten, Klassenführungen und dem Bilderbuchkino unterstützt die Helene-Nathan-Bibliothek die Arbeit in den zahlreichen Kitas und Grundschulen in Nord-Neukölln.
Die Helene-Nathan-Bibliothek in den Neukölln Arcaden, © Bergsee, blau
Für Kinder und Jugendliche wird regelmäßig in der Bibliothek eine Hausaufgabenhilfe angeboten, die sehr gefragt ist. In der 2018 neu geschaffenen Jugendbibliothek finden Teenager und junge Erwachsene einen eigenen Bereich mit Konsolenspielen, Literatur, Comics und Mangas sowie Filme und Hörbücher, aber auch wichtige Unterstützung zur MSA-Vorbereitung. Das Lernzentrum stellt wichtige Literatur für Schule und Abschlüsse bis zum Abitur bereit.
Die Musikbibliothek bietet einen umfassenden Querschnitt durch die Musikgeschichte mit all ihren Genres sowie Medien zum Thema Film, Tanz und Theater. Neben CDs, DVDs, Noten und Büchern für Erwachsene findet man dort auch eine schöne Auswahl an musikalischen Bilderbüchern und Tonie-Figuren für Kinder. Bestandsschwerpunkt der Musikbibliothek ist der Bereich der populären Musik. Ergänzt wird der Medienbestand durch eine besondere Auswahl an Musik aus aller Welt im Sonderstandort „Musik der Kulturen“. Eine beliebte Veranstaltungsreihe ist die offene Chorprobe, die auch Menschen ohne Chorerfahrung das gemeinsame Singen ermöglicht.
Kinderbibliothek, © SINISSEY
Kontinuierlich wird an der Verbesserung der Aufenthaltsqualität entsprechend einer modernen öffentlichen Bibliothek im stetigen Wandel gearbeitet. So wurden in den letzten Jahren zahlreiche neue Arbeitsplätze eingerichtet und Laptops zur Nutzung in der Bibliothek angeschafft. Das hat zur Entstehung eines modernen Lernraums beigetragen. Neue bequeme Sitzmöbel und eine Neustrukturierung der im oberen Geschoss gelegenen Sachbuchabteilung laden zum Verweilen ein. Die große Sachbuchabteilung bietet für Hobby und Beruf gleichermaßen anregende Literatur. Der große Deutsch-als-Fremdsprache-Bereich ermöglicht Selbstlernenden und Kursteilnehmenden den Zugang zu vielen verschiedenen Publikationen. Im Sonderstandort „Beruf und Bewerbung“ findet man Orientierung zu Ausbildung, Studium, Bewerbung und Berufsalltag. Spielfilme und Sachfilme, fremdsprachige Literatur, Zeitschriften und Zeitungen: All dies können die Menschen hier genießen.
Mit zahlreichen Kooperationspartner*innen werden viele verschiedene Angebote umgesetzt: Beratungen, Workshops, Ausstellungen, Lesungen und musikalische Abende. Mit dem Spielenachmittag hat die Bibliothek ein Angebot geschaffen, das ein soziales Miteinander ermöglicht und wo die zahlreichen Brettspiele im Bestand der Bibliothek getestet werden. Der Lea-Leseklub bietet Menschen mit und ohne Beeinträchtigung ein wöchentliches Treffen zum gemeinsamen Lesen und Austausch. Auch das Thema Alphabetisierung und Grundbildung ist für die Helene-Nathan-Bibliothek besonders wichtig. Die Besuche der Vorlesehündin Cara sind ein besonderes Highlight für Kinder und ein wichtiger Baustein im Angebot der Leseförderung. Temporäre Projekte wie die Vestithek, in der man im Sinne einer Bibliothek der Dinge Second-Hand-Kleidung ausleihen kann, stehen ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit und tragen zur Vernetzung mit neuen Communities bei.
Durch die Einbettung der Helene-Nathan-Bibliothek in den Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB) steht allen Berliner*innen ein umfangreiches Angebot an digitalen Medien zur Verfügung und ermöglicht über den berlinweiten Leihverkehr hinaus einen modernen Zugang zur Informationsversorgung.
Karolin Pasewald, Helene-Nathan-Bibliothek
Der Architekt für Neukölln: Reinhold Kiehl
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Der Architekt für Neukölln: Reinhold Kiehl
Kein anderer Architekt hat das explodierende Rixdorf und spätere Neukölln Anfang des 20. Jahrhunderts so geprägt wie Stadtbaurat Reinhold Kiehl. Aus eigener Planung und Bauleitung entstanden in den acht Jahren seiner Tätigkeit für Rixdorf 14 Schulen und weitere 33 öffentliche Gebäude und Einrichtungen – vom Krankenhaus und Rathaus über ein Elektrizitätswerk bis zur Trinkhalle.
Reinhold Kiehls bis heute sichtbare Werke im Zentrum Karl-Marx-Straße sind unter anderem das Rathaus Neukölln, das Stadtbad und das Gebäude der ehemaligen Reichsbank in der Ganghoferstraße, die Passage sowie das Albert-Schweitzer-Gymnasium. Im gesamten Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee lernen die meisten Neuköllner Schülerinnen und Schüler noch immer in seinen Gebäuden: der Hermann-Boddin-Grundschule, der Rixdorfer Schule, dem Ernst-Abbe-Gymnasium, der Rütli-Schule und der Elbe-Grundschule. Im weiteren Umfeld finden sich „aus seiner Feder“ die Richard-Grundschule, das Albrecht-Dürer-Gymnasium und die Zuckmayer Schule.
Rathaus Neukölln (Bauzeit 1908, Erweiterungen bis 1914)
Über die Person Reinhold Kiehl ist nicht so viel bekannt. Er wurde 1874 in Danzig geboren, ging dort zur Schule und studierte Hochbau – heute vergleichbar mit Architektur – in München und Braunschweig. Schon während seiner Ausbildung bekam er aufgrund seiner herausragenden Leistungen diverse Stipendien zuerkannt. In Berlin war er zunächst in Charlottenburg tätig, wurde 1904 in Rixdorf eingestellt und hier 1905 zum Ersten Stadtbaurat des neuen Hochbauamts gewählt.
Bis 1912 bearbeitete Kiehl die gewaltigen baulichen Aufgaben der noch eigenständigen Stadt, deren Einwohnerzahl im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts von 90.000 auf 230.000 angestiegen war. Beeindruckend ist der kurze Zeitraum, der bei allen Bauten zwischen Baugenehmigung und Fertigstellung lag. Selten nahm es mehr als zwei Jahre in Anspruch, bis die Gebäude genutzt werden konnten. Allen Bauten ist die gestalterische Handschrift Reinhold Kiehls anzusehen, obwohl er offenbar einem großen Mitarbeiterstab im Hochbauamt vorstand. Julius Posener schreibt dazu: „Es mutet an wie ein Wettrennen mit dem Ort, der eben damals stärker wuchs als irgendeine andere Stadt in Europa. Der Stadtarchitekt wollte – und musste – Rixdorf in den Griff bekommen und er wollte diese viel zu schnell wachsende Arbeiterstadt erträglich machen und mehr als erträglich: angenehm, ja schön.“ *
Reinhold Kiehl
Als Kiehl in Rixdorf seinen Dienst antrat, galt er als unverbraucht und tatkräftig. Kiehl konnte hier Dinge erreichen, die sich in der großen Nachbarstadt Berlin nicht durchsetzen ließen. So schaffte er es, dass er als Leiter des Hochbauamts an der Lösung städtebaulicher Fragen entscheidend mitwirken konnte. Die Gestaltung von Straßenzügen konnte einem „Ortsstatut gegen die Verunstaltung des Stadtbildes“ unterworfen werden, Neubauprojekte mussten dem Hochbauamt zur Genehmigung vorgelegt werden. Für ungenügende Fassaden wurden Gegenvorschläge gemacht.
Ein Entwurf, der nie realisiert wurde: am Standort der heutigen Neukölln Arcaden sollte ein Stadttheater entstehen.
Zudem führte die Verwaltung unter Kiehl als eine der ersten Städte Deutschlands das Angebot einer kostenlosen Bauberatung ein. Von ersten Erfolgen zeugt der Rixdorfer Rechenschaftsbericht aus dem Jahr 1912 / 1913: „Es sind eine Reihe guter Neubauten im Stadtgebiet entstanden und das Stadtbild beginnt einen neuen Ausdruck anzunehmen, der auch eine gewisse Einheitlichkeit ergibt.“
1912 verabschiedete sich Reinhold Kiehl aus Neukölln, weil er zum Sachverständigenbeirat in städtebaulichen Angelegenheiten beim Zweckverband Groß-Berlin gewählt worden war. Aber schon ein halbes Jahr später, am 10. März 1913, starb er in seinen Diensträumen an einem Herzstillstand – mit nur 39 Jahren. Sein Grab befindet sich auf dem St. Jacobi-Friedhof, dessen Kapelle er selbst entworfen hatte. Im Nachruf des Neuköllner Tageblatts vom 12. März 1913 heißt es: „(…) Als Kiehl im Jahr 1904 die neubegründete Stelle des Stadtbauinspektors für Hochbau in Neukölln übernahm, sah er sich vor Aufgaben gestellt, wie sie eine Stadtverwaltung nur in ganz seltenen Ausnahmen zu stellen hat. (…) Das sind Aufgaben, wie sie anderswo in Generationen in langsam wohlüberlegten Schaffen und Werden entstehen. Und wie hat Reinhold Kiehl in den 8 Jahren seiner hiesigen Tätigkeit diese Aufgaben bewältigt! Seine Bauten haben der Stadt das Gepräge gegeben. Sie gelten mit Recht mit ihrer schlichten und vornehmen äußeren Gestaltung wie in ihrer inneren Anordnung als Musterbauten und haben Neuköllns Namen und den des Erbauers weit über die Grenzen Berlins bekannt gemacht. (…)“.
Es lohnt sich, auf eine Entdeckungsreise zu seinen Gebäuden zu gehen.
Stephanie Otto, raumscript
Gebäude von Kiehl im Sanierungsgebiet
- Hermann-Boddin-Grundschule
- Rixdorfer Schule
- Ernst-Abbe-Gymnasium
- Rütli-Schule
- Elbe-Grundschule
- Rathaus Neukölln
- Ehemalige Reichsbank Ganghoferstraße
- Stadtbad mit ehemaliger Bibliothek
- Passage Neukölln
- Ehemalige Bedürfnisanstalt,
- Sonnenallee / Ecke Elbestraße
- Wildenbruchbrücke
* Die Zitate und Architekturzeichnungen in diesem Artikel sind dem Buch „Architekt Reinhold Kiehl: Stadtbaurat in Rixdorf bei Berlin, 1987“ entnommen.
Weichenstellung für das Kindl Konglomerat
„Potenzial lokal“ heißt das Oberthema der 13. Ausgabe des Magazins BROADWAY Neukölln. Im zweiten Jahr der Pandemie war es dem Redaktionsteam besonders wichtig, einige der besonderen und vielfältigen Potenziale des Zentrums Neukölln ins Blickfeld zu rücken. Diese Potenziale sind es, die Kraft und Anziehungskraft entfalten, sich abheben und damit besondere Angebote für die Menschen hier und die Gäste des Zentrums Karl-Marx-Straße machen.
Stand Dezember 2021
Weichenstellung für das Kindl Konglomerat
Ende Oktober wurde das Werkstattverfahren Kindl Konglomerat für das Grundstück oberhalb der ehemaligen Vollguthallen entschieden. Zur Auswahl standen drei beeindruckende städtebauliche Entwürfe für diesen traditionsreichen und besonderen Ort im Zentrum Neuköllns. Die Entscheidung fiel zugunsten des Entwurfs „KINDL-Hallen“.
Es war keine leichte Planungsaufgabe, die den drei ausgewählten Planungsteams aus Architektur und Landschaftsarchitektur in der Wettbewerbsauslobung im Frühsommer 2021 mit auf den Weg gegeben wurde. Dort, wo derzeit noch die Kartbahn zu finden ist, sollen in Zukunft eine Schule und andere Nutzungen bestmöglich in das räumliche und soziale Umfeld eingefügt werden. Dabei sollten die neuen möglichen Baukörper so angeordnet werden, dass Freiräume mit einer hohen Qualität und Zugänglichkeit entstehen. „Die Stadt“ soll an dieser Stelle also „im Bestand“ weitergebaut und mit den Nutzungen im umliegenden Kiez, aber auch mit den Kellergeschossen der Fläche vernetzt werden.
Ein Projekt mit großer Bedeutung für den Bezirk
Der Umbau des Kindl-Areals ist für die Entwicklungen im Lebendigen Zentrum und Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee von hoher Bedeutung. Daher wurde im Rahmen einer engen inhaltlichen Zusammenarbeit zwischen Bezirk und der Eigentümerin, der Schweizer Stiftung Edith Maryon und ihrer Tochter Terra Libra Immobilien GmbH, beschlossen, für das Grundstück ein sogenanntes Werkstattverfahren durchzuführen. Hierbei wird in relativ kurzer Zeit parallel an Lösungsvorschlägen gearbeitet und es bietet Mitwirkungsmöglichkeiten für die Öffentlichkeit. Das Ergebnis ist nicht abschließend, sondern dient als Grundlage für die weitere Abstimmung. Das Werkstattverfahren wurde von der Eigentümerin finanziert, der Bezirk unterstützte mit einem öffentlichen Beteiligungsprozess. Die einzelnen Stufen und Ergebnisse der öffentlichen Beteiligung sind unter www.kms-sonne.de/kindl-konglomerat nachzulesen.
Die Entwürfe
Eine ausführliche Darstellung der Entwürfe und des gesamten Verfahrens finden Sie unter: www.kms-sonne.de/kindl-konglomerat
Der siegreiche Entwurf „KINDL-Hallen“ von ff-Architekten Feldhusen Fleckenstein PartG mbB mit häfner jiménez betcke jarosch landschaftsarchitektur gmbh aus Berlin
KINDL-Hallen als Lern-, Arbeits- und Begegnungsort – Das einberufene Obergutachter*innen-Gremium wählte den Entwurf „KINDL-Hallen“ mit großer Mehrheit an die erste Stelle. Die Arbeit möchte die bestehende Halle so weit wie möglich erhalten und dafür die vorhandene Trägerstruktur ertüchtigen. Der Entwurf schafft damit flexible Räume für neue Nutzungen. Gleichzeitig soll in einer Strategie des Upcyclings ressourcensparend gebaut werden. Südlich entsteht die „Kindlpromenade“ als langgestreckter Freiraum, der zugleich eine übergreifende Erschließung für die „Werkhöfe“ darstellt, die an die typischen Berliner Gewerbehöfe erinnern. Mehrfachnutzungen sind in vielerlei Hinsicht möglich. Die Schule orientiert sich zum Kindl-Hof. Das Dach der „KINDL-Hallen” wird begehbar konstruiert und sowohl von der Schule als auch von der Öffentlichkeit genutzt werden können.
Entwurf „Kindlgarten“ von Studio Vlay Streeruwitz aus Wien mit Atelier le Balto aus Berlin
Kindlgarten – Der Entwurf „Kindlgarten“ ist geprägt von großen Freiräumen, die sich im Tagesverlauf verändern können. Gelobt wurde von den Obergutachter*innen die Poesie und Zukunftsvision des Entwurfs, der neugierig gemacht hat. Der Städtebau entwickelt sich in Form von „schwebenden Häusern“ in die Höhe und lässt darunter, auf dem leergeräumten Plateau und freigelegten Hallentragwerk, Raum für viele unterschiedliche Nutzungen.
Entwurf „Kindlhöfe“ von Kersten Kopp Architekten mit capattistaubach urbane landschaften aus Berlin
Kindlhöfe – Der Entwurf „Kindlhöfe“ hat die Flächen mit einem Abriss der Halle und einen Neubau komplett neu gedacht. Mit dieser Herangehensweise kann der neue Baukörper sehr effizient angeordnet werden. Er bildet mehrere Höfe, die mit einem unterschiedlichen Grad an Öffentlichkeit genutzt werden können. Schule und Schulhof liegen im geschützteren östlichen Teil des geplanten Gebäudes.
Und wie geht es weiter?
Es kann derzeit noch nicht genau abgeschätzt werden, wann hier der erste Spatenstich erfolgen kann. Auf Basis des gefundenen städtebaulichen Konzepts können nun die weiteren fachlichen Detailplanungen erfolgen. Der Entwurf dient somit als Grundlage für einen sogenannten „Konglomeratsplan“, der jetzt eng mit dem Bezirk abgestimmt wird.
Jule Klandt und Stephanie Otto, raumscript, mit subsolar* architektur & stadtforschung
Ansprechpartner
Bezirksamt Neukölln
Stadtentwicklungsamt
Fachbereich Stadtplanung
Karl-Marx-Straße 83, 12040 Berlin
Tel. 030 – 90 239 2153
stadtplanung(at)bezirksamt-neukoelln.de
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen IV C 32
Anke Heutling
Württembergische Straße 6-7, 10707 Berlin
Tel.: 030 – 90 173 4914
anke.heutling@senstadt.berlin.de
BSG Brandenburgische
Stadterneuerungsgesellschaft mbH
Sanierungsbeauftragte des Landes Berlin
Karl-Marx-Straße 117 , 12043 Berlin
Tel.: 030 – 685 987 71
kms(at)bsgmbh.com
Lenkungsgruppe
der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
lenkungsgruppe(at)aktion-kms.de
Citymanagement
der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
Richardstr. 5, 12043 Berlin
Tel.: 030 – 22 197 293
cm(at)aktion-kms.de