Der Broadway Nº 8 – 2016/2017 widmet sich dem Thema „Kontraste“ und spielt damit auf die vielen unterschiedlichen Entwicklungen im Bezirkszentrum Karl-Marx-Straße an.

Zu den Themen Begegnung, Handel, Stadtentwicklung und Kultur werden Artikel gegenübergestellt: Wandel und Kontinuität, das Mit- und Nebeneinander der Entwicklungen, das Bezirkszentrum als Mikrokosmos seiner Bewohner und Besucher.

Der ALLTAG Zieht auf das Kindl-Gelände

Wie das urbane Wohnen den Bedürfnissen heutiger, teilweise ungewöhnlicher Lebenssituationen und -entwürfe gerecht werden kann, wollen die Entwickler des ehemaligen Kindl-Geländes mit dem Projekt ALLTAG neu denken. Die Eigentümergesellschaft „VOLLGUT“ eröffnet mit ihrer planerischen Herangehensweise für das gesamte Gelände Räume für neues und sozialgerechtes Arbeiten und Wohnen. Das Quartier soll langsam wachsen. Die Einbindung von Nutzern und Betreibern lässt auf eine gute Nachbarschaft mit der direkten Umgebung hoffen.

Kindl Gelände Entwurf

Skizze zum Projekt ALLTAG © VOLLGUT UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG

Das Areal der ehemaligen Berliner Kindl-Brauerei befindet sich im Rollbergkiez in unmittelbarer Nähe zur Rollbergsiedlung. Mit einer neuen Treppenanlage ist die Siedlung seit Mai 2016 über das Gelände mit dem Quartier an der Neckar- und Isarstraße verbunden. Das Gelände steht seit 2015 im Eigentum einer Tochter der gemeinnützigen Schweizer Stiftung Edith Maryon. Seitdem wird das Gelände mit dem heutigen Namen VOLLGUT durch die Eigentümerin und ihre Partner weiter entwickelt. Die Entwicklung hat das Ziel, eine der großen Industriebrachen in Neukölln unter Beteiligung möglichst vieler Menschen mit dem Motto „Arbeit, Wohnen und Begegnung“ langfristig wirtschaftlichen, sozialen, kreativen und ökologischen Nutzungen zur Verfügung zu stellen.

Ein zentraler Ort, der im Rahmen der Entwicklung entstehen soll, wird das Projekt ALLTAG sein. Die Idee des ALLTAG ist, entsprechend dem für das Gelände existierenden Bebauungsplan, einen neuen Typ von Herberge für unterschiedlichste Bedürfnisse und Lebensmodelle zu bieten. Der ALLTAG soll ein Ort werden, der sich aus temporären Wohnplätzen, sozialen Dienstleistungen, nachbarschaftlichen, kulturellen und gewerblichen Nutzungen sowie einer Pension und Gastronomie zusammensetzt. Zielgruppe sollen alle sein, die in besonderen Lebenslagen eine temporäre Wohnstätte suchen: Menschen in einer Rehabilitationsphase, vor Gewalt geflüchtete Mädchen und Frauen, von homophoben Übergriffen betroffene Flüchtlinge aus Wohnheimen, Touristen und viele mehr.

Kindl Sudhaus

Sudhaus auf dem ehemaligen Kindl-Gelände © Andreas Vollmer 

Zu den künftigen Akteuren und vor Ort Engagierten zählt die Schwulenberatung, die im Gebäude Wohnplätze für jugendliche homosexuelle Flüchtlinge anbieten möchte. Auf der anderen Seite wird sich auch der Wildwasser e. V. im ALLTAG engagieren und voraussichtlich neben dem Mädchennotdienst eine Wohngemeinschaft für von sexueller Gewalt bedrohte Mädchen und Frauen ermöglichen. Ein weiterer Akteur ist das Gesundheitskollektiv mit dem Projekt eines Sozial- und Gesundheitszentrums im ALLTAG, dessen Fokus darauf gerichtet ist, wie sich z. B. Lebens- und Umweltbedingungen auf die Gesundheit auswirken. Der Flamingo e. V. möchte Frauen, Kindern und unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten Beratungs-, Begleitungs- und Bildungsangebote machen. Das in Neukölln schon bekannte Hotel Karibuni wird nach seinem Auszug aus der Neckarstraße neue Räumlichkeiten für seine Pensionsgäste eröffnen.

Damit reiht sich der ALLTAG in die Aspekte ein, die für seine Entwickler und für das gesamte Areal von wesentlicher Bedeutung sind. Gerecht, zugänglich, vielfältig, nachhaltig und experimentell sind die Stichworte, die bisher als Rahmen erarbeitet wurden – d. h. unter anderem:

  • Leben soll bezahlbar und erschwinglich bleiben. Menschen, die auf dem Areal arbeiten, sollen es sich leisten können, in ihrem näheren Umfeld zu wohnen. Dies soll durch eine Begrenzung der Miethöhen realisiert werden.
  • Gewerbe und Wohnen sollen sich auf dem Gelände nicht stören, sondern ergänzen.
  • Die Nutzungen auf dem Areal sollen auch Fragen zur Nachhaltigkeit und zum Recycling beantworten.
  • Die Nachbarschaft wird in die Entwicklung des Areals eingebunden.
  • Verschiedene Kulturen, Hintergründe und Lebensmodelle seiner Betreiber und Bewohner sollen das Areal bereichern.

Dabei wird auch die mit der Bewirtschaftung des Geländes verbundene Verantwortung gesehen – insbesondere mit der neuen Ausrichtung zur Karl-Marx-Straße soll beachtet werden, dass das Gebiet nicht nur aufgewertet wird, sondern auch seinen Bewohnern lebensnah erhalten bleibt. Dies ist im Sinne der Stiftung Edith Maryon, die sich zum Ziel gesetzt hat, durch das dauerhafte Halten von Immobilien soziale Wohn- und Arbeitsstätten zu schaffen.

Maya Rosenkranz, VOLLGUT UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG

Kindl Gelände Lageplan

© BSG