Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.

Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.

Der Anspruch wächst

Menschen nicht nur satt zu machen und ihren Durst zu löschen, sondern auch zufrieden, das ist eine Erfolgsvoraussetzung für die Gastronomie. Sie wird zunehmend zum Event, bei dem das Erlebnis manchmal sogar wichtiger als das Essen wird. Anspruchsvolle Gäste suchen das Besondere. Andere mögen nicht selber kochen, wollen Freund*innen treffen oder in ihrem Single-Haushalt einfach nicht alleine sein. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

© Frieder Salm (unten rechts) © Juni Fotografen (oben rechts)

Beim Blick auf das Zentrum Karl-Marx-Straße wird deutlich: Die Anzahl der Gastronomiebetriebe ist seit 2008 beträchtlich angewachsen und die Vielfalt hier besonders eindrücklich. Nach jahrzehntelangem Stillstand boomt in gastronomischer Hinsicht mittlerweile kaum ein Berliner Stadtteil so wie Neukölln. Jede zweite Berliner Neuansiedlung befindet sich derzeit hier. Die Angebote sind sehr individuell. Der Trend Systemgastronomie, gemeint sind MacDonald’s, Starbucks und Co, fällt im Bezirkszentrum Neukölln zurzeit nicht sehr ins Gewicht. Als Folge dieser Entwicklungen wachsen die Erwartungen der Besucher*innen an die Qualität der Gastronomie, wenn sie in Nord-Neukölln einkehren. Ein Anspruch, den man vor einigen Jahren wohl nicht mit dem Bezirk in Verbindung gebracht hätte.

Die Erdgeschosszonen sind in manchen Seitenstraßen der Karl-Marx-Straße zu Erlebnis- und Begegnungsorten geworden, wie z. B. in der Richardstraße oder – über die Sonnenallee hinweg – ganz prominent in der Weserstraße mit hippen und kiezigen Cafés, Bars und Restaurants. Der Bezirk profitiert von seinem Ruf als Szene-Kiez und dem Berliner Tourismusboom, der vor allem junge Leute anzieht. Auch hinsichtlich des Preisniveaus variiert das Angebot deutlich: Es gibt zahlreiche preiswerte Angebote im Bereich Street-Food, aber neuerdings auch Gastronomie auf hohem Niveau. Doch auch manch traditionelle und für Neukölln früher so prägende Eckkneipe existiert immer noch standhaft in den Seitenstraßen der Karl-Marx-Straße.

© Micha Strahl (oben rechts)

Auf der Karl-Marx-Straße selbst wächst die Vielfalt des gastronomischen Angebots, wenn auch nicht ganz so bunt. Insgesamt wird die Gastro-Szene hier vor allem durch die migrantischen Geschäftsleute sowie Waren und Gerichte aus der ganzen Welt geprägt. Das Angebot reicht von internationalen Imbissen über Shisha-Bars bis zu Frühstückshäusern. Für Nachtschwärmer*innen gibt es längst nicht mehr nur Pommes und Döner. Die Vielfalt der türkischen und arabischen Küche, Suppen, Eintöpfe oder vegane Platten und Catering präsentieren sich zwar meist unspektakulär, aber dennoch schmackhaft und bezahlbar.

Rixbox

Café Rixbox

Ein besonderes Beispiel ist die Rixbox auf dem Alfred-Scholz-Platz, die gleichzeitig Initiator und Partner für die Bespielung des Platzes mit Veranstaltungen ist. Mit dem Vorwerck eröffnete neben der Neuköllner Oper ein weiteres vielversprechendes Restaurant. Beständig behauptet sich währenddessen das Café Rix neben dem Heimathafen als weiterer Anlaufpunkt unter anderem für das Kulturpublikum.

Und was wird morgen sein? Die Gastronomisierung des Bezirkszentrums bis hin zum Neuköllner Schiffahrtskanal scheint ungebrochen. Neukölln strebt im Ranking der angesagten Szenekieze weltweit nach oben. Dennoch muss man warnen, es nicht zu übertreiben. Die steigenden Gewerbemieten führen in einigen Ecken bereits zu einer Gastronomie-Monokultur. Kleinere Handwerksbetriebe und andere Dienstleister sowie soziale Träger, die für den täglichen Bedarf unerlässlich sind, gehören zu den Leidtragenden dieser Entwicklung. Für sie ist es sehr schwierig, in der Nähe überhaupt noch Flächen zu finden. Der eigene Erfolg darf nicht dazu führen, die Kleinteiligkeit sowie Bezahlbarkeit und damit letztlich das bunte Leben hier zu vertreiben.

Stephanie Otto, raumscript