Der Broadway Nº 10 – 2018/2019 widmet sich dem Thema „Wandel“. Kaum ein Begriff beschreibt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre treffender – solange existiert die [Aktion! Karl-Marx-Straße] im Zentrum Karl-Marx-Straße nun schon.

Das Magazin beleuchtet den Wandel aus vielen unterschiedlichen Perspektiven – von den Menschen, die hier leben und arbeiten, über den öffentlichen Raum, die Entwicklung des Handels und der Gastronomie bis zur neuen Begeisterung für die Stadtnatur. Diese vielen unterschiedlichen Facetten zeigen das bunte Bild des Neuköllner Zentrums, seiner Chancen und Herausforderungen.

Der öffentliche Raum – ein Angebot

Öffentlich heißt der Raum, weil hier jede und jeder ohne Ausnahme Zugang hat. Es ist unerheblich, ob die betreffende Person alt, jung, reich, obdachlos, beeinträchtigt oder sportlich ist. Jene Personen, die mit „Öffentlichkeit“ gemeint sind, haben individuelle Ansprüche an den öffentlichen Raum und hinterlassen Spuren durch ihr Nutzungsverhalten.

Kinder am Straßengeländer

Aneignung des öffentlichen Raums: Das Straßengeländer als Kletterobjekt © raumscript

Die Planungen im Aktiven Zentrum der letzten zehn Jahre betrafen zu einem sehr großen Teil den Umbau des öffentlichen Raums im Zentrum Karl-Marx-Straße. Es geht vor allem darum, das Zentrum für die nächsten Jahrzehnte zukunftsfähig aufzustellen. Dabei werden die Planungen vor allem von verkehrlichen Fragen dominiert. Nutzungen und Funktionen im Straßenraum gehen aber weit darüber hinaus. Die Qualität öffentlicher Räume wird auch in Zukunft davon abhängen, wer sie wie belebt, wer die hier gemachten Angebote in Anspruch nimmt, wer sich den Raum also aneignet und ihn mitgestaltet.

Menschen möchten sich an den Orten, die sie nutzen, sicher fühlen, sich wohlfühlen und sich dort gerne aufhalten – Ansprüche, welche die Planungen berücksichtigen sollten. Aber der beste Plan nützt nichts, wenn sich die Nutzer*innen diesem Plan nicht anschließen. Die Qualität der Orte bildet sich durch Handlungen. Das Verhalten der Menschen im öffentlichen Raum ist letztlich viel entscheidender für dessen Aussehen und Wirkung als seine Gestaltung durch die Stadtplaner*innen.

Wie kann man also die Zukunft eines öffentlichen Raums planen? Im Mittelpunkt muss immer eine Analyse des jeweiligen Ortes und seiner Nutzer*innen stehen: Wer wird den Raum für sich in Anspruch nehmen und wer wird welche Funktion für wen übernehmen? Ein bestimmtes Verhalten kann von der Planung erwünscht, aber nie vorausgesetzt werden. Es besteht nur die Möglichkeit, Angebote zu schaffen. Diese werden entweder individuell angenommen, anders interpretiert oder auch „missbraucht“ – im positiven wie im negativen Sinne. Wenn ein Kind einen Fahrradbügel zur Reckstange macht oder die Gehwegplatten für Hüpfspiele verwendet, handelt es sich wohl um einen sehr belebenden „Missbrauch“ der öffentlichen Straßenmöblierung. Ein anderes Beispiel sind Skater, die Bordsteinkanten als sportliche Herausforderung nutzen.

Es kann im öffentlichen Raum aber auch zu Nutzungen kommen, die zwar nicht erwünscht, aber auch nicht verhindert werden können. So besetzen obdachlose Menschen in ihrer Not oftmals vor Wind und Wetter geschützte Bereiche des öffentlichen Raums.

Kindl Treppe

Die Gestaltung der Kindl-Treppe bezieht die künstlerischen Ideen der Bevölkerung mit ein

Fahrräder auf der Mittelinsel

Der öffentliche Raum als wilde Abstellfläche für Fahrräder

Maßstab der Planungen für das Zen-trum Karl-Marx-Straße ist eine qualitätsvolle Umsetzung. Aber: Planungen können sich nur an den allgemeinen Regeln orientieren und nicht etwa an möglichen Fehlverhalten oder Fehldeutungen. Ein Beispiel hierzu: Die Ausführung des neuen Radstreifens der Karl-Marx-Straße wurde von vielen – anfangs sicherlich zu Recht – stark kritisiert, da der Streifen missbräuchlich zum Parken genutzt wurde und wird. Trotz dieses Missstands bleibt es richtig, einen solchen Radstreifen anzulegen. Das Fehlverhalten der Parkenden kann nicht Leitlinie der Planung sein.

Der öffentliche Raum ist aber auch ein Angebot an all jene privaten Nu-t-zer*innen, den Raum über attraktive Sondernutzungen wie z. B. Außen-gastronomie zu bespielen, darüber soziale Kontrolle herzustellen und ihn positiv zu beleben. Hier gilt es, einen Spagat zu bewältigen. Denn in einigen Kiezen geht die Belebung vor allem im Sommer mittlerweile so weit, dass die Anwohner*innen darunter leiden. Auch das Bedürfnis nach Ruhe muss daher bei der Planung des öffentlichen Raums bedacht werden.

Horst Evertz, BSG Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft mbH