Die 14. Ausgabe des BROADWAY steht unter dem Titel „Was wir können“. Die Beiträge zeigen exemplarisch, wie lebendige Angebote auch entgegen der aktuellen Krisen durch gemeinsames Wirken entstehen und erhalten werden können. Wir sprechen mit Gewerbetreibenden, Kulturschaffenden und sozial Engagierten entlang der Karl-Marx-Straße, widmen uns dem Thema der Müllvermeidung, geben einen Einblick in die gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung und zeigen, wie sich ein inklusives Zusammenleben im Zentrum gestalten und von Vielfalt bereichern lässt.

Stand Juli 2023

Gemeinsam singen!

Seit Sommer 2021 befindet sich mit dem Deutschen Chorzentrum die erste Adresse für die vokale Musik an der Karl-Marx-Straße 145. Ein guter Grund für einen Besuch vor Ort und ein Gespräch über die Förderung des Chorgesangs mit Veronika Petzold, der Geschäftsführerin des Deutschen Chorverbands.

Carusos Fortbildung

Die Carusos – Fortbildungen für Erzieherinnen und Erzieher sowie Grundschullehrkräfte im Deutschen Chorzentrum (Foto: Rüdiger Schestag)

Die Wurzeln des Deutschen Chorverbands reichen gut 150 Jahre zurück. Mittlerweile vertritt er vom Standort Neukölln aus rund 13.000 Chöre mit 750.000 Mitgliedern. Unter dem gemeinsamen Dach des Deutschen Chorzentrums in der Karl-Marx-Straße finden sich zudem die Deutsche Chorjugend, der Chorverband Berlin und der Landesmusikrat Berlin. Wichtiger Bestandteil ist zudem eine musikalische Kita mit 70 Plätzen.

Frau Petzold, wen vertritt der Deutsche Chorverband?
Der Deutsche Chorverband vereint die Mehrzahl der weltlichen Chöre in Deutschland. Diese spiegeln in den unterschiedlichen Zusammensetzungen und Stilrichtungen einen bunten Querschnitt durch die Gesellschaft. Unter das Dach des Chorverbands gliedern sich 20 Landes- und Fachverbände. Aufgabe des Dachverbands ist vor allem die kulturpolitische Arbeit. In unmittelbarem Kontakt mit den Chören stehen eher die Landeschorverbände, die die Chöre organisatorisch und finanziell unterstützen.

Welche Aktivitäten gehen vom Deutschen Chorzentrum in Neukölln aus?
Viele stellen sich unter dem Deutschen Chorzentrum vor, dass hier viele Chöre üben oder zusammenkommen. Dies führt ein wenig in die Irre. Es finden hier vorrangig Fortbildungsveranstaltungen statt, vor allem zum Thema Singen mit Kindern. So hat der Verband mit den „Carusos“ eine bundesweite Initiative zum kindgerechten Singen ins Leben gerufen. Zudem erfolgt eine regelmäßige Zusammenarbeit mit Pädagoginnen und Pädagogen. Im Haus sind auch die „Vokalhelden“ angesiedelt. Dieses Projekt vereint Berliner Kinder- und Jugendchöre, die von den Berliner Philharmonikern gegründet wurden.

Deutsches Chorzentrum

Das Bestandsgebäude wurde saniert, umgestaltet und durch eine Aufstockung auf dem Seitenflügel sowie durch den Dachausbau im Vorderhaus ergänzt (Foto: Jelena Maywald)

Warum hat sich der Deutsche Chorverband für die Karl-Marx-Straße als Standort für das neue Chorzentrum entschieden?
Wichtig war für uns immer die räumliche Nähe zur bundesdeutschen Politik. Deshalb sind wir als Verband 2008 nach dem Regierungsumzug von Köln nach Berlin gezogen und sind hier auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie gegangen. Wir haben insgesamt 21 Standorte begutachtet und dabei unsere Bedürfnisse geordnet. Seit 2015 haben wir den Blick nach Neukölln gerichtet. Gründe hierfür waren unter anderem die vorhandene vielfältige und gleichzeitig bodenständige Kulturszene. Es gab in Neukölln seit den 1980er Jahren viele kulturpolitisch muntere Menschen, die für die heutige Entwicklung die Weichen gestellt haben und die dem kulturellen Standort Karl-Marx-Straße bis heute ein besonderes Gesicht geben.

Das Chorzentrum ist kein eigener Veranstaltungsort, sondern nutzt die Nähe zu den vielen weiteren Kulturstandorten hier. Wir sind zum Beispiel im engen Austausch mit dem Heimathafen nebenan, zu dem sich über das große Tor im Hof schnell eine räumliche Verbindung herstellen lässt.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei Ihrer Arbeit?
Das Singen in einem Chor steht in großer Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Wir wollen das Singen wieder zu den Menschen bringen. Viele haben sich in den letzten Jahrzehnten mit nachhaltiger Wirkung vom Singen abgewendet. So manch einem ist das Singen peinlich geworden. Das wollen wir ändern. Deshalb ist auch die Musikpädagogik ein Schwerpunkt in unserem politischen Engagement. Zudem müssen wir uns gezielt um die Seniorinnen und Senioren kümmern. Chorsingen hilft gegen Einsamkeit und hält physisch und psychisch fit.

Was hat sich in ihrer Arbeit verändert, seitdem sie hier an der Karl-Marx-Straße sind?
Die räumliche Nähe der im Chorzentrum ansässigen Nutzerinnen und Nutzer führt zu Synergien, die man an getrennten Standorten nicht erreichen würde. Wir können darüber hinaus in unseren neuen Räumen Gäste empfangen, die gar nichts mit Musik zu tun haben und uns ihrerseits inspirieren. Damit werden auch neue Kontakte zu wichtigen Zielgruppen geknüpft.

Der Neubau und die Pandemie haben unsere technischen und digitalen Möglichkeiten sehr erweitert. Dies ermöglicht ein anderes Arbeiten und hat vielfach zur Verbesserung der Kommunikation beigetragen. Jedoch kann auch die intelligenteste Technik nur organisatorisch unterstützen und hilft sonst beim Singen nicht viel. Singen ist analog, emotional und höchst individuell. Es stärkt die sozialen Beziehungen und ist als Form der Gemeinschaftsbildung ein hohes Gut, das wir von hier aus auf vielen Wegen unterstützen.

Interview: Stephanie Otto, raumscript