Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #9 – 2022, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.

Stand November 2022

Spurensuche am Maybachufer

Der Sportplatz und seine Umgebung

Ein Förderprojekt im Sanierungsgebiet der nächsten Jahre wird die Weiterentwicklung des Sportplatzes Maybachufer sein (siehe auch Seite 16). Ein Anlass für uns, wieder auf Spurensuche im Sanierungsgebiet zu gehen – denn die Geschichte des Straßenblocks zwischen Maybachufer, Weichsel-, Pflüger- und Pannierstraße, in dem der Sportplatz liegt, ist bewegt.

Historisches Luftbild

Luftbild vom Reuterkiez aus dem Jahr 1954

Der Straßenblock befindet sich im Nordwesten des Sanierungsgebiets – dem Teil, der bereits zum Neuköllner Reuterquartier zu zählen ist. Dort, wo Neukölln auf Kreuzberg und Treptow trifft, befand sich vor 350 Jahren eine von Büschen bewachsene Fläche. Die Grenze zwischen dem damaligen Rixdorf und der Stadt Berlin bildete der Floßgraben, der zunächst als Entwässerungsgraben diente und 1705 vor allem zum Transport von Holz ausgebaut wurde. Nach und nach wurden die Büsche gerodet. Vom Kottbusser Damm im Westen und entlang der heutigen Sonnenallee bis über die Ringbahnstraße hinaus bildeten sich die „Cöllnischen Wiesen“ heraus – ein sumpfiges und von Gräben durchzogenes Gelände, das als Baugrund eigentlich ungeeignet schien. Trotzdem griff man aus Ermangelung weiterer Freiflächen auf dieses Gebiet zurück, als ab Ende des 19. Jahrhunderts dringend neuer Wohnraum und Gewerbeflächen für das explodierende Rixdorf benötigt wurden. Der vormalige Wiesengraben wurde zum Neuköllner Schifffahrtskanal ausgebaut und half, das Gelände zu entwässern. Der Kanal mündete in den nun ebenfalls ausgebauten Floßgraben, den Landwehrkanal. Und genau ab dieser Mündung wurde der ehemalige Uferweg am Landwehrkanal 1886 in Maybachufer umbenannt.

Historische Karte

Historischer Stadtgrundriss im Stadtplan von 1935

Das Reuterquartier entsteht
Trotz der Wohnungsnot Ende des 19. Jahrhunderts und des rasanten Baus von größtenteils fünfgeschossigen Mietshäusern, vor allem entlang des Kottbusser Damms im Westen, galt das Reuterquartier als ein Viertel mit höherer Wohnqualität als im restlichen Norden der Stadt Rixdorf und war in Teilen durchaus mit bürgerlichen Vierteln im Großraum Berlin vergleichbar. Ein Zeichen hierfür war der höhere Anteil von mehr Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen. Allerdings hatte man beim Bau außer beim Reuterplatz auf die ursprünglich geplanten grünen Stadtplätze verzichtet. Die Bebauung rückte vom Kottbusser Damm in Richtung Weichselstraße voran, südöstlich des Maybachufers jedoch vergleichsweise langsam. Wegen des instabilen Baugrunds des ehemaligen Sumpfgeländes mussten vor Baubeginn unter anderem in der Pflüger- und in der Pannierstraße Pfahlrostfundamente gelegt werden.

Der Sportplatz Maybachufer kurz nach seiner Eröffnung 1953

Die Entwicklung zwischen Pannier-, Pflüger- und Weichselstraße
Mitte der 1860er bis 1870er Jahre waren in dem heutigen Straßenblock zwischen Maybachufer und Pflügerstraße zahlreiche Holz- und Lagerplätze angelegt worden, so z. B. ausgedehnte Holz-Lagerflächen der berühmten Klavierbaufirma C. Bechstein. 1907 bis 1910 wurde auf dem Grundstück Maybachufer 48­–51 ein großer Gewerbebau für die Möbelfirma Pfaff errichtet, der sich bis zur Pflügerstraße 46–50 erstreckte. In diesem Komplex arbeiteten zeitweise bis zu 2.500 Personen. Doch bei der Produktion von Möbeln blieb es nicht. Während des 1. Weltkriegs siedelten sich auf dem Grundstück auch Firmen an, die Waffen und Munition für den Krieg produzierten.

Die große Wirtschaftskrise von 1929 bis 1932 zwang viele der zivilen Firmen, die sich in diesem Gewerbehof seit dem Krieg wieder angesiedelt hatten, in die Knie. 1934 verkaufte die Möbelfirma Pfaff ihren Gewerbekomplex an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), die an diesem Standort ihre zentrale Dienststelle errichtete. Hier hatte das für die NSV zuständige „Hauptamt für Volkswohlfahrt“ der Reichsleitung der NSDAP seinen Hauptsitz. Die Nachbargrundstücke Maybachufer 54–63 bzw. Pflügerstraße 41–45, auf denen sich heute der Sportplatz Maybachufer befindet, waren auch in den 1940er Jahren noch weitgehend unbebaut. Einige Quellen berichten, dass diese Flächen bereits vom NSV als Sportplatz genutzt wurden, vollständig verifizieren lässt sich dies jedoch nicht. Die Zwangsarbeitsforschung vermutet, dass auf diesem Gelände Ende 1942 / Anfang 1943 in einem Barackenlager an der Pflügerstraße 41–45 oder 47 Zwangsarbeiter untergebracht waren (vgl. Eintrag in www.zwangsarbeit-forschung.de).

Ausbau der Sportflächen nach dem 2. Weltkrieg
Nach dem Krieg lagen zwei Drittel der Turnhallen und Sportplätze Berlins in Trümmern. Die alliierten Militärbehörden hegten gegenüber den Sportvereinen eine gewisse Skepsis, gerade die Turnvereine fielen als „Hort des Faschismus und Militarismus“ unter das alliierte Vereinsverbot. Allerdings hatte der Sport eine wichtige stabilisierende Funktion für die Not leidende Bevölkerung, insbesondere für die Kinder und Jugendlichen. Schon Ende 1945 konnten Ballsportarten ausgeführt werden. Erst 1948 wurden in Berlin jedoch der Vereinssport wieder zugelassen und in den Westsektoren der Stadt die ersten Sportvereine lizensiert (vgl. www.manfred-nippe.de/berliner-turnerbund-am-anfang-stand-der-wille-zur-einheit).

Historisches Foto

Blick von der ehemaligen Flussbadeanstalt am Landwehrkanal auf die Grundstücke Maybachufer 54–63

Der heutige Sportplatz Maybachufer wurde Anfang der 1950er Jahre zu einer öffentlichen Anlage ausgebaut und im September 1952 der Öffentlichkeit übergeben. Der damalige Bezirksbürgermeister Kurt Exner kommentierte die Eröffnung des Sportplatzes laut einem Zeitungsartikel in der Berliner Morgenpost folgendermaßen: „Wir sind glücklich darüber, dass wir gerade diese Anlage im dichtbevölkerten Neukölln beträchtlich erweitern konnten“. Das Neuköllner Jahrbuch 1954 berichtete zudem, dass 21.000 organisierte Mitglieder in 70 vom Sportamt betreuten Vereinen aktiv waren und verschiedene Sportanlagen in ihrer baulichen Entwicklung nochmals baulich erheblich verbessert wurden. Dazu gehörte erneut die Sportanlage Maybachufer. So wurde hier ein Sporthaus mit Umkleide, Wasch- und Toilettenräumen fertiggestellt und in Betrieb genommen.

Der Sportplatz kann heute also auf eine fast 70-jährige Nutzungsgeschichte blicken. Mit der geplanten Umsetzung der Sanierungsziele wird dieses Kapitel nun durch neue Entwicklungen fortgeschrieben.
Stephanie Otto – unter Verwendung der Publikation von Ursula Bach und Cornelia Hüge: Wo Neukölln auf Kreuzberg trifft. Das Reuterquartier im Wandel. Berlin, 2004.