Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #9 – 2022, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.

Stand November 2022

Wie geht das zusammen?

Klimaschutz und Milieuschutz

Überflutete U-Bahntunnel nach einem Starkregen, kranke Straßenbäume durch Trockenheit, weicher Asphalt im Hochsommer, graue Weihnachten: die Veränderungen des Klimas und deren Auswirkungen auf unser Leben in der Stadt werden immer mehr Menschen bewusst. Steigende Energiekosten fachen die Diskussion weiter an. Für viele steht fest: mehr Klimaschutz muss her. Andere ächzen unter den hohen Mietkosten und fragen sich, wie sie ihre Mietzahlungen aufbringen sollen. Sie fürchten, nach einer energetischen Sanierung eine noch höhere Miete zahlen zu müssen. Denn die möglichen Einsparungen bei den Energiekosten durch eine Sanierung sind fast immer geringer als die Mietsteigerungen – zumindest kurzfristig.

Energiebedarf Vergleich

Die Lösung soll eine „sozialverträgliche“ energetische Sanierung sein. Doch was bedeutet das? Einfache Antworten und Rezepte gibt es wie so oft nicht. Eine Polarisierung der Themen hilft jedenfalls nicht weiter. Es geht darum, beides in Einklang zu bringen. Der Berliner Senat verfolgt das Ziel, Berlin bis zum Jahr 2045 zu einer klimaneutralen Stadt zu entwickeln. Dies ist im Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz, das 2016 verabschiedet wurde, verankert. Klimaneutral bedeutet, dass die Menge an klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre nicht weiter erhöht wird. Demnach sollen die Kohlendioxidemissionen (CO2) bezogen auf das Jahr 1990 um 95 Prozent gesenkt werden. Hierzu ist es notwendig, insgesamt in der Stadt Energie einzusparen oder durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

Wirksamer Klimaschutz beginnt bereits auf der Ebene des Quartiers. Daher dienen im Sanierungsgebiet öffentlich finanzierte Maßnahmen auch den Berliner Klimaschutzzielen, wie z. B. die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur oder eine energetische Sanierung öffentlicher Gebäude. Solche Maßnahmen verbessern die CO2-Bilanz eines Quartiers, ohne einzelne Haushalte finanziell zu belasten und sind somit sozialverträglich.

Dem privaten Gebäudesektor kommt beim Klimaschutz eine wichtige Rolle zu – dieser kann aber nur Teil einer umfassenden Gesamtstrategie sein. Die Frage ist dabei, welchen Beitrag bestehende Gebäude leisten können und sollen. Technisch ist vieles möglich. Für eine hohe Akzeptanz müssen Umbauten aber auch wirtschaftlich sinnvoll sein – sowohl für Eigentümerinnen und Eigentümer als auch die Mietparteien.

Weigandufer

Mehr Klimaschutz im Quartier: Umbau des Weigandufers

Energetische Maßnahmen können in der Regel über eine Modernisierungsumlage auf die Mietparteien umgelegt werden. Im Gegenzug sparen diese künftig Energiekosten. Und zwar je mehr, desto höher die ursprünglichen Energiekosten sind. Die Praxis zeigt jedoch, dass kostenneutrale energetische Sanierungen in der Regel nicht gelingen. Und der Nutzen der Maßnahme nimmt mit einem steigenden Standard ab. Das heißt, dass im Verhältnis zu einer stetig steigenden Umlage immer geringere Energieeinsparungen zu erzielen sind. Wo ein privater Bauherr wegen mangelnder Kosteneinsparung abwinken würde, lässt das Mietrecht weiterhin eine Umlage zu. Das kann ein Problem werden, wenn die Maßnahme letztlich nur der Mietsteigerung dient. Denn die Umlage ist zeitlich unbegrenzt also auch dann noch zu zahlen, wenn die Maßnahme sich längst refinanziert hat.

Fast alle Grundstücke im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee sind auch Teil eines Milieu­schutzgebietes. Dort sind energetische Modernisierungen zwar nicht verboten, aber nur eingeschränkt möglich, um die Modernisierungsumlagen bezahlbar zu halten. Hierzu hat der Bezirk Neukölln sogenannte Genehmigungskriterien erlassen. Diese begrenzen die zulässigen energetischen Sanierungen auf die Mindestanforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Manche fordern eine Abschaffung einschränkender Regelungen, um die vermeintlich erforderlichen energetischen Modernisierungen vorantreiben zu können. Die Kritik, dass durch den Milieuschutz die Klimaziele schwerer erreicht werden können, greift jedoch zu kurz.

Geplante CO² Reduktion in Berlin

Geplante Reduktion des CO2-Ausstoßes in Berlin bis 2045

Eine pauschale Abschaffung der Genehmigungskriterien stellt nicht sicher, dass die energetische Sanierung auf eine Weise erfolgt, dass möglichst viel Energiekosten und CO2 eingespart werden. Schlimmstenfalls erfolgt somit eine hohe Umlage ohne wesentliche Einsparungen an Energie und CO2 – damit ist dem Klimaschutz auch nicht gedient. Ein wichtiger Grundsatz ist aber auch, dass die Behörde nicht willkürlich handeln darf. Die Mindestanforderungen des GEG wurden vom Bundesgesetzgeber erlassen und sollen im Prinzip dem Interessensausgleich dienen.

Daher ist der Ansatz in Neukölln, nicht diese bewährten Regelungen abzuschaffen, sondern so zu ergänzen, dass die CO2-Reduktion optimiert wird und gleichzeitig Umlagen vermieden werden, denen keine erheblichen Energieeinsparungen mehr gegenüberstehen. Weiterhin werden Maßnahmen, die über den Mindeststandard des GEG hinausgehen, zugelassen, wenn hierfür Fördermittel in Anspruch genommen werden. Fördermittel haben zwei Vorteile: Zum einen ist ihre Bewilligung mit sehr konkreten Zielen verbunden. Diese sind fachlich begründet, weil der Fördergebende entsprechende Anreize schaffen will – so auch beim Klimaschutz. Somit handelt der Bezirk nicht willkürlich. Zum anderen dürfen Fördermittel nicht auf die Miete umgelegt werden.

Ein Vorhaben wird daher in den Neuköllner Milieuschutzgebieten genehmigt, wenn im Vergleich zum Mindeststandard nach Abzug der Förderung keine höheren Umlagen entstehen und dieser Vorteil an die Mieterhaushalte weitergereicht wird. Das ist im Detail nicht immer einfach, gelingt aber sehr häufig. Denn es gibt viele Kosten, die in jedem Fall anfallen. Dazu gehören Gerüstkosten, Planung, Handwerksarbeiten, etc. Die Mehrkosten z. B. für eine „dickere Dämmung“ können gleichzeitig durch eine Förderung kompensiert werden und helfen den Haushalten, Energiekosten zu sparen. Aber auch Mieterinnen und Mieter können selber etwas zum Klimaschutz beitragen, z. B. indem sie über sogenannte Mieterstrommodelle Solarstrom selber nutzen.

So betrachtet ist eine sozialverträgliche energetische Sanierung in Milieuschutzgebieten auch eine große Chance für eine zukunftsgerechte Gestaltung des Stadtteils. Sie erhöht nicht nur die Lebensqualität in den betreffenden Quartieren, sondern bietet jedem die Möglichkeit, aktiv zu werden, statt sich passiv und ausgeliefert zu fühlen.
Oliver Türk

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