Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.

Stand November 2024

Die Sicht der Marktplaner

Interview mit Nikolaus Fink zu den Umbauarbeiten am Karl-Marx-Platz

Zwei Mal wöchentlich findet auf dem Karl-Marx-Platz ein Wochenmarkt statt. Die Marktplaner, die diesen Markt begleiten, kennen die Gegebenheiten des Platzes somit besonders gut. Wir haben mit Herrn Fink von den Marktplanern über seine Einschätzung zu den Umbauarbeiten gesprochen.

Gemüsestände Markt

Wochenmarkt auf dem Karl-Marx-Platz (© Susanne Tessa Müller)

Herr Fink, mit der Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes sollen die Aufenthaltsqualität und die Bedingungen für den Marktbetrieb verbessert werden. Sind Sie der Meinung, dass die Planungen diesen Zielen gerecht werden?

Das lässt sich erst im Nachhinein wirklich beurteilen. Ich freue mich aber sehr auf die Umgestaltung. Ich empfinde den bisherigen Prozess als ein Paradebeispiel für gelungene Planung und Beteiligung. Ich habe mich von Anfang an mitgenommen und informiert gefühlt. Hier bekommt man das Gefühl, dass der Markt und seine Bedeutung für den Kiez wertgeschätzt werden.

Bereits die Poller, die im Jahr 2021 aufgestellt worden sind, um den Durchgangsverkehr zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße zu unterbinden, haben viel bewirkt. Dadurch gibt es an diesem Ort keine rasenden Autos mehr, was sich enorm auf die Lautstärke und das Sicherheitsgefühl auswirkt. Der Karl-Marx-Platz hat dadurch bereits deutlich an Aufenthaltsqualität gewonnen, denn nun kann man sich hier auch in geringer Lautstärke unterhalten.

Was die Neugestaltung betrifft, finde ich es gut, dass der Baumbestand erhalten bleibt und dass es attraktive Sitzgelegenheiten geben wird, die zum Verweilen einladen. Damit werden auch Räume geschaffen, an denen kein Konsumzwang herrscht.

Einzig den Liefer- und Anwohnerverkehr sehe ich momentan noch etwas problematisch, da diese noch nicht final geklärt ist. Bisher stellen wir während des Marktgeschehens einen Ordner auf, der die Einfahrt in der nördlichen Fahrbahn kontrolliert.

Was erhoffen Sie sich von der Neugestaltung?

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Aufenthaltsqualität und dem Angebot an Lebensmittelqualität. Je höher die Aufenthaltsqualität, desto höherwertigere Produkte können angeboten werden. Aufenthaltsniveau benötigt jedoch Platz.

Momentan ist der Markt am Karl-Marx-Platz eher ein Ort, an dem die Besuchenden lediglich ihre Einkäufe verrichten. Die Menschen verweilen hier nicht so lange wie beispielsweise bei der „Dicken Linda“, dem Wochenmarkt am Kranoldplatz, wo die Aufenthaltsdauer manchmal vier Stunden beträgt. Aktuell lässt der Markt am Karl-Marx-Platz das aber auch nicht wirklich zu. Menschen, die am Markt am Kranoldplatz einkaufen, geben mehr Geld für ihre Lebensmittel aus. Dadurch gibt es dort auch mehr gehobenere Produkte.

Mit der Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes wird sich dies hoffentlich ändern, da der Markt mehr Platz bekommen und für Anwohnende aus dem Richardkiez attraktiver sein wird. Dadurch können mehr Nischen geschaffen werden, in denen man mal in Ruhe einen Kaffee trinken kann, die zum Verweilen einladen, oder die einem die Möglichkeit bieten, sich mit den Händlerinnen und Händlern über die Produkte zu unterhalten. Mehr Platz bedeutet außerdem weniger Gedränge.

Inwieweit unterscheidet sich der Markt am Karl-Marx-Platz von anderen Märkten?

Der Ort weist durch die vielen umliegenden Läden eine sehr gute Struktur auf. Hier findet man beispielsweise neben anderem Einzelhandel noch einen Fleischer, einen Wein- und einen Bioladen. Dies ist ein klarer Vorteil, denn es ermöglicht den Kundinnen und Kunden ein „One-Stop-Shopping“, also Einkäufe, bei denen man mit „einem Halt“ gleich mehrere unterschiedliche Einzelhandels- oder Dienstleistungsbetriebe besuchen kann.

Der Karl-Marx-Platz zeichnet sich außerdem durch seine gute Lage aus. Er befindet sich mitten in der Stadt, ist aber gleichzeitig ein Ort, an dem man kurz Luft holen kann. Es gibt wenige Orte, wo man für so wenig Geld so viel Frische einkaufen kann.

Nikolaus Fink

Nikolaus Fink, Die Marktplaner (© Cathrin Bach)

Welche Bedeutung haben Märkte heute? Wie wird sich deren Bedeutung in den nächsten Jahren ändern?

Märkte sorgen für eine Belebung im Kiez und sind von hoher sozialräumlicher Bedeutung. Hinzu kommt, dass wir auch Marktkonzerte und -events veranstalten, Pflanztröge begrünen und den Alltagsmüll anderer wegräumen. Wir hinterlassen unsere Standorte immer sauberer, als wir sie vorgefunden haben. Dadurch werten wir die Orte, an denen wir Märkte betreiben, weit über das Marktgeschehen hinaus auf und verbessern damit die Aufenthaltsqualität maßgeblich.

Der Trend sagt voraus, dass die sozialräumliche Bedeutung in den nächsten Jahren zunehmen wird. Das heißt, dass ein Markt in Zukunft mehr können muss, als eine reine Verkaufsfläche zur Verfügung zu stellen. Märkte entwickeln sich zu wichtigen „Third Places“, also Orte außerhalb der Arbeit und dem eigenen Zuhause, an denen sozialer Austausch stattfinden kann. Damit einher geht auch ein näherer Kontakt zwischen Händlerinnen und Händlern mit ihrer Kundschaft sowie eine höhere Aufenthaltsqualität.

Gleichzeitig sind Märkte jedoch enormen Herausforderungen ausgesetzt. Menschen geben immer weniger Geld für Lebensmittel aus. Zum einen, weil sie weniger traditionell einkaufen, zum anderen, weil sie billig beim Discounter einkaufen. Parallel dazu steigt die Nachfrage nach Flugreisen stark an. Das beim Lebensmitteleinkauf gesparte Geld wird also lieber für Reisen ausgegeben. Zusätzlich mangelt es den Händlerinnen und Händlern an personellen Ressourcen. Aufgrund dieser Entwicklungen gibt es heute ein Drittel weniger Märkte als noch vor 20 Jahren. Besonders in Berlin stellt der Zuwachs an Einzelhandelsflächen ein weiteres großes Problem dar. Mit rund 70 Einkaufszentren weist die Stadt eine offenkundig zu hohe Dichte auf.

Was wünschen Sie sich konkret für den Markt am Karl-Marx-Platz mit Blick in die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die Marktgäste die neu entstandene Vielfalt und Aufenthaltsqualität wertschätzen werden und dass der Markt als stabiler Anker im Kiez sowie zur Bewusstseinsbildung von frischen Lebensmitteln und gutem Essen beitragen wird. Auch würde ich mich freuen, wenn sich die Einkaufenden zu Stammkundinnen und -kunden entwickeln, die sich auch gerne mal über die unterschiedlichen Zubereitungsweisen von Brokkoli, Auberginen oder Portulak austauschen.

Außerdem hoffe ich, dass nach Fertigstellung der Neugestaltung noch genug Händlerinnen und Händler in der Lage sein werden, um den Markt weiterzuentwickeln. Denn mit ihnen zusammenzuarbeiten, gehört zu denen Dingen, die mir an meinem Beruf am meisten Spaß machen: extrem handlungs- und lösungsorientierte Menschen dabei zu unterstützen, alltägliche Probleme zu meistern. Die Händlerschaft hier besitzt eine enorme Widerstandsfähigkeit – nach Corona sowieso. Hinzu kommt, dass viele von ihnen in Familienunternehmen aufgewachsen sind und somit früh gelernt haben, resistent zu bleiben und ihre Arbeit kreativ anzugehen. An ihnen lässt sich beobachten, wie viel Menschen gemeinsam erreichen können, wenn sie sich aufeinander verlassen. Denn Vertrauen ist die eigentliche Währung auf dem Wochenmarkt.

Das Gespräch führte Carolina Crijns.